New Pony

Bob Dylan beschäftigt sich mit der Kultur der einfachen afroamerikanischen Menschen

von Thomas Waldherr

Die Songs des von April bis Mai 1978 aufgenommenen Albums Street Legal sind musikalisch von Gospel, Spiritual-Anklängen, von Soul und Blues geprägt. Kein Wunder arbeitete er doch schon seit Mitte Januar 1978 mit der schwarzen Background-Sängerin Helena Springs zusammen, hatte wohl auch eine Beziehung mit ihr, und schrieb mit ihr fast zwanzig Songs.

Street Legal beendete die 1970er-Phase, die vom weißen Folk-Rock geprägt war. Bob Dylan setzte sich nun, so sagte es Mitmusiker Billy Cross dem Dylan-Biograph Clinton Heylin, ganz tief mit der schwarzen Kultur auseinander. Denn Dylan ließ sich immer wieder von konkreten Menschen begeistern. Er hatte unter seinen in den Jahren 1978 bis 1985 wechselnden schwarzen Background-Sängerinnen auch immer wieder wechselnde Freundinnen mit denen er auch Lieder schrieb oder sang wie eben Helena Springs oder auch Clydie King. Die Afro-Amerikanerin Mary Alice Artes, eine Freundin von Helena Springs, wurde auch eine gute Freundin von ihm, und wurde als „Queen Bee“ in den Liner Notes von Street Legal verewigt. Sie half ihm beim Übertritt zum christlichen Glauben.

Einem christlichen Glauben, der sich religiös in einer evangelikalen Kirche, kulturell aber in der Mischung aus Rock und schwarzem Gospel manifestierte. Es kann sehr gut sein, dass Dylan sich im Song „New Pony“ auch von den Empfindungen seiner damaligen schwarzen Freundinnen und deren Selbstfindung zwischen verdrängtem afrikanisch-karibischen Erbe, strenger kirchlicher Erziehung und dem ewigen Spannungsfeld zwischen Gospel, Soul und Blues, beeinflussen ließ. Denn der Blues war und ist für besonders fromme Schwarze die „Musik des Teufels“. Was natürlich durch musikfolkloristische Legenden wie die Geschichte von Robert Johnson, der seine Seele an den Crossroads dem Teufel verkaufte, um fortan wie ein Gott Gitarre spielen zu können, in besonderer Weise überzeichnet wird. So ist der faustische Pakt Robert Johnsons mit dem Teufel nur die christliche Lesart des Zusammentreffens des Musikers mit dem Voodoo-Gott Legba, der ein Gauner, ein Trickster ist und nicht das personifizierte Böse wie der Teufel. Diese Lesart geht einher mit der christlichen Verteufelung der afrikanischen Religion der schwarzen Sklaven, als auch mit der Ablehnung der sündigen Blues und Soulmusik durch die schwarzen Christengemeinden im Süden.

Der Mississippi Bluesmusiker Son House, Quelle: Wikimedia commons

Afroamerikanischer Volksglaube Hoodoo
Rudimente der afrokaribische Voodoo-Religion verschmolzen mit Alltagserfahrungen in der Sklaverei und Elemente christlich fundiertem Volksglauben zum afroamerikanischen Hoodoo-Volksglauben. Oliver Hardts sehenswerter Film “The United States Of Hoodoo” spürte vor einigen Jahren den Wurzeln der afro-amerikanischen Kultur in der afrikanischen und karibischen Voodoo-Religion nach. Deren Spuren finden sich an vielen Orten der amerikanischen Kultur und Alltagskultur. Vom Mississippi-Blues bis zum Rap, von der bildenden Kunst bis zur New Orleans-Küche.Sie finden sich in der liberalsten Stadt des US-amerikanischen Südens – New Orleans – ebenso wieder wie in den tief christlich geprägten Landstrichen am Mississippi Delta. Sie finden sich im schwarzen Gospel-Gottesdienst genauso wie im Blues, im Soul, im Rock’n’Roll. Und durch die Verschmelzung der weißen Hillbilly-Musik mit dem schwarzen Blues finden sie sich sogar in der weiß geprägten Countrymusik.

Und solche Elemente finden sich eben auch auf dem Funk-Soul-Rhythm&Blues-Gospel-Album „Street Legal. Besonders deutlich wird das bei dem Song „New Pony“, der von Charlie Pattons und Son House’ „Pony Blues” beeinflusst ist. Zwei der Bluessänger, die explizit damit in Verbindung gebracht worden sind, dass der Blues die Musik des Teufels ist. Warum soll er das sein? Weil der Blues sexuelle Themen präferiert und an das von vielen christianisierten Schwarzen verdrängte und verleugnete afrikanische Erbe fortführt.

Charley Patton, Quelle: Wikimedia commons

Und natürlich ist denn auch dieser New Pony-Blues sexuell durchdrängt. Die alte Liebe ist weg und wie sehr er die neue Liebe begehrt. Voller Verlangen. Selten war Dylan so sexuell so deutlich und so derb wie in diesem Song:

Come over here, pony

I wanna climb up one time on you

(How much longer?) Well

Come over here, pony

I wanna climb up one time on you

(How much longer?)

You know so nasty and you’re so bad

But I said I love you, yes I do

Aber die Zerrissenheit der Afroamerikaner:innen findet sich auch in diesem Song wieder. Denn was singt Dylan denn auch in diesem Song:

They say you’re usin’ voodoo, your feet walk by themselves

They say you’re usin’ voodoo, I seen your feet walk by themselves

Oh, baby, that god you been prayin’ to

Is gonna give ya back what you’re wishin’ on someone else“

Und in der Tat, im Blues lebt das alte afrikanische Erbe fort. Tony Atwood, der auf seinem tollen Dylan-Blog „Untold Dylan“ auch diesen Song besprochen hat, hat etwas verkürzt, so meine ich, für den Titel alleine „Sex und Blues, Blues und Sex. Total verschlungen“ als Fazit gezogen.

Im Spannungsfeld von Hoodoo und christlichem Glauben

Natürlich geht es hier um Sex und Blues. Aber es geht auch um den Glauben an Vodoo und an den Glauben an den christlichen Gott. Und wenn Dylan hier singt, dass sein Baby Voodoo-Zauber benutzt, und er sagt ihr „der Gott zu dem Du gebetet hast, der gibt Dir zurück, was Du anderen gewünscht hast“, dann ist das eine deutliche Warnung vor den falschen Göttern und damit auch eine Auseinandersetzung zwischen afroamerikanisch-christlichem und afrikanisch-karibischem Glauben.

Und so könnte man diesen Song auch als einen Vorgriff auf die drei christlichen Alben Dylans sehen. Christlicher Fundamentalismus und afroamerikanischer Volksglaube: Ein Spannungsfeld, durch das man nicht ohne Widersprüche kommt. Dylan predigte während seiner Born Again-Phase christlich-fundamentalistisch. Er spielte schwarzen Gospel-Rock. Sein damaliger privater Lebensentwurf schien aber sinnlichen und lebenszugewandten afrikanischen Traditionen näher zu stehen.

Dylan setzte sich hier ein zweites Mal mit der afroamerikanischen Kultur auseinander. War es während des Folk Revivals und seinem Einsatz für George Jackson und Rubin „Hurrican“ Carter die Kultur der politisch bewussten Bürgerrechtsbewegung und der politischen Aktivisten, so war es nun die Kultur der einfachen, der gläubigen afroamerikanischen Menschen. So wie er Country als Musik der einfachen Menschen für sich adaptierte, eignete er sich nun Gospel, afroamerikanische Alltagskultur und Spiritualität an.

Die jetzt noch tiefer grundierte Verbindung zur Black Community, sollte fortan nie mehr gekappt werden.

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