Santa Claus & Santa Bob

von Thomas Waldherr

Nichts für Kleingeister: Bob Dylans Weihnachtsalbum und das Video von 2009 zeigen uns einen Dylan, der ebenso sentimental wie souverän-rezitativ mit Weihnachten als amerikanischem Pop-Phänomen umgeht.

Hohoho, Ihr Dylan-Fans! Wenn man überlegt wie sehr zu Recht sich 1979 große Teile der Dylan-Gemeinde sich wegen seiner evangelikalen Konversion entzürnten, der reibt sich ob des Sturms im Wasserglas rund um sein Christmal-Album, das 30 Jahre später erschien, nur noch verwundert die Augen. Wie kann er nur? Hieß es auch damals von einigen.

Jawohl, er hat es getan. Da mag bei ihm die Einsicht in die Notwendigkeit eine Rolle gespielt haben. Denn es gibt kaum eine amerikanische Popmusikgröße, die nicht ein Album mit Weihnachtssongs aufgenommen hat. Auch Freunde wie Johnny Cash oder Willie Nelson haben das getan. Also hatte sich auch Folk- und Rocklegende Bob Dylan in Jingle-Bells-Feeling versetzt und ein Christmas-Album aufgenommen.

Christmas-Album muss sein

Unmittelbar nach Ende seiner Europatournee im Frühjahr 2009 entstanden im Studio von Jackson Browne die Aufnahmen von Klassikern wie „O Little Town of Bethlehem“, „Silver Bells“, „Must Be Santa“, „Here Comes Santa“ und „I’ll Be Home for Christmas“. Unter dem Titel „Christmas In The Heart“ erschien das Album dann am 13. Oktober 2009.

(Cover zu Bob Dylans „Christmas in the Heart“, 2009, Quelle: Columbia Records)

Wichtig dabei: Alle Einnahmen aus dem Erlös der Scheibe wurden für karitative Zwecke der Organisation „Feeding America“, sowie zwei weiteren Wohltätigkeitsorganisationen, die hungernden Menschen in Amerika, Großbritannien und der Dritten Welt helfen, gespendet. Dylan leistet schon seit vielen Jahren karitative Arbeit und Armut ist für ihn eines der größten Probleme in den USA. Er macht dies aber vor allem im Verborgenen. Auch hier bleibt es dabei: Bob Dylan will zuallererst als Künstler wahrgenommen werden, nicht als Wohltäter oder Aktivist. Er ist weder Bono noch Bob Geldof. Der hat seinen Wunsch nach Unterstützung der notleidenden amerikanischen Farmer 1985 bei Live Aid ja gründlich missverstanden, aber das ist eine andere Geschichte.

Doch zurück zu Dylans Weihnachtsmusik. Dylan folgt schon hier und da den allzu eingetrampelten Pfaden der klassischen Weihnachtssongs, das ist vielleicht die Schwäche des Albums. Dylans Versionen von „Little Drummer Boy“, Hark The Herald Angels Sing“ oder „The First Noel“ sind alles andere als originell. Andere Songs wie „Here Comes Santa Claus“, „Winter Winterland“, „The Christmas Blues“ oder „Christmas Island“ sind da stärker und weisen schon den Weg zu späteren Projekten. Seine von den amerikanischen Swing-Pop-Schlagern der 1930er und 1940er Jahre inspirierten Stücke sind die Vorboten seiner intensiven und expansiven Beschäftigung mit Sinatra und dem Great American Songbook auf insgesamt fünf (!) Silberlingen von 2015 bis 2017.

Beschäftigung mit der Musik der 1940er Jahre

Man merkt Dylan hier die spielerische Freude am Singen wie am Arrangieren der Songs an. Er ergänzt seine Tourband nur um den Multiinstrumentalisten David Hidalgo sowie einen weiteren Gitarristen und einen Pianisten und – ganz wichtig – einen gemischten Hintergrundchor. Bereitet das Ganze im Retro-Style auf – und schon ist das Weihnachtsgefühl ebenso Retro!

Einzig die Stimme bleibt lädiert, erst mit dem Sinatra-Projekt scheint er seine Stimme noch einmal bevorzugt behandelt zu haben. Mittlerweile klingt er besser als vor 30 Jahren, es wäre schön, die Songs von „Christmas In The Heart“ heute nochmal mit seiner aktuellen Stimme zu hören.

Dylan zitiert mit diesem Alben die klassischen Weihnachtssongs, aber man denkt auch unwillkürlich an die Weihnachtsstimmung aus den USA der 1940er Jahre. Man denkt an Bing Crosbys „White Christmas“ (1941/42) oder gar an Frank Capras Film-Meisterwerk „It’s A Wonderful Life“ mit James Stewart (1946), das Gemeinsinn vor Profitgier als uramerikanischen Wert propagierte. Das müssen auch ganz frühe Eindrücke des jungen Bobby Zimmerman gewesen sein zu denen er 2009 zurückkehrte.

Patchwork-Quilt des idealtypischen Amerikas

Eigentlicher Hit und Burner des Albums ist natürlich „Must Be Santa“. Natürlich hat er sich mit seiner Version des Mitch Miller-Klassikers von 1960 angelehnt an die Polka-Version der Brave Combo. Polka-Musik war in seiner Heimatstadt Hibbing aufgrund der osteuropäischen Wurzeln der Einwohnerschaft weit verbreitet, zählt also auch zu den frühen Eindrücken Dylans. Aber er macht etwas Eigenes daraus. Seine Stimme passt hier wunderbar und gibt dem Song noch etwas mehr Erdung und Patina.

Der Knaller aber ist das Video. Selten hat man Dylan besser vor einer Kamera agieren sehen. In einer Mischung aus dem ollen alkoholgeschwängerten Opa, den fast jeder von familiären Weihnachtsabenden kennt und Ebenezer Scrooge feiert er mit Langhaar-Perücke eine ausgelassene Weihnachtsparty. Da würde man gerne mitfeiern!

Hier das Video:

Must Be Santa


Und so fügen sich Album und Video nun bereits als Klassiker in den Dylan’schen Kanon ein. Sie sind eindeutig im Verbund mit seiner Radio Show und dem Sinatra-Projekt zu sehen. Als Beitrag zu Dylans Arbeit am Patchwork-Quilt des idealtypischen Amerikas. Sein Stoff ist die klassische amerikanische Populärmusik, Nadel und Faden sind die Genres und Verbreitungswege Album und Radio Show. Das neuere Medium Video nutzt dann er aber auch, um wiederum Retro-Stimmung zu erzeugen.

Für mich eine ganz typische, tolle Dylan-Leistung: Er macht was er will, er hat einen Plan und der geht auf: Dylan zeigt sich hier wieder einmal mehr als wunderbarer Chronist und Kurator der amerikanischen Populärkultur.

Frohe Weihnachten!

Thomas Waldherr

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