von Richard Limbert
Kaum feierte Bob Dylan im Mai 2021 seinen 80. Geburtstag, schon wurde ein neuer 80ster einer Musiklegende der 60er Jahre gefeiert: Paul Simon wurde am 13. Oktober diesen Jahres ebenfalls 80. Mit dem Folk-Duo Simon & Garfunkel hatte der Songwriter, Sänger und Gitarrist gemeinsam mit seinem Gesangspartner Art Garfunkel in den späten 60er Jahren großen Erfolg. Was verbindet und unterscheidet den coolen Song and Dance Man Bob Dylan von seinem schwermütig-neurotischen Altersgenossen Paul Simon? Und vor allem: wo standen sie und begegneten sich in ihrer formenden Zeit Anfang und Mitte der 60er Jahre?

Simon & Garfunkel und Bob Dylan im Musikmarkt der 60er Jahre
Als retrospektiv die größten Stars dieses ikonischen Jahrzehnts werden oft die Beatles, die Rolling Stones, die Doors und die Beach Boys genannt. Bands die mit ihrem psychedelischen oder rockigen Sounds die Musiklandschaft prägten. Als hipper Solokünstler fällt da meist noch der Name Bob Dylan in diesem Kontext. Unsere heutige Sicht auf die 60er Jahre als Jahrzehnt musikalischer Neuerungen ist geprägt durch die revolutionären Musiker mit bahnbrechenden, aufregenden Sounds und politischen, provokanten Texten voll expressiver Poesie. Was bei dieser plakativen Rückschau oft unter den Tisch fällt, sind aber die eher stillen Acts, die poppigen Schlager und aus heutiger Sicht eher unspektakulären Balladen. Der erste Song, der die Beatles von ihrem Platz 1 der UK Single Charts drängte, war die etwas schmalzige Liebesballade Release Me von Engelbert Humperdinck im Frühling 1967, der Penny Lane auf Nummer 2 brachte.1 Aus heutiger Sicht auf die Roaring 60s wirkt das fast anachronistisch, aber auch das ist Teil der Musik der 60er Jahre. Und in diese Versenkung der Erinnerung an die 60er Jahre scheinen Simon & Garfunkel immer wieder abzuschlittern. Mit ihrem gefühlvollen, fragilen Folk der von Harmoniegesang und melancholischer Akustikgitarre geprägt war, waren die zwei Musiker von der US-Ostküste äußerst erfolgreich, passen aber nicht so ganz ins Bild der rebellischen 60er Jahre. Simon & Garfunkel waren in den 60ern aber gleich hinter den Beatles, Elvis Presley und den Rolling Stones die viert-meistverkauften Musiker ihrer Zeit in den USA und Westeuropa.2 Und dabei begann ihr Erfolg eigentlich erst 1966 mit der Veröffentlichung ihres Albums Sounds of Silence. Das Duo brachte prinzipiell nur fünf Alben heraus: Wednesday Morning, 3AM (1964), Sounds of Silence (1966), Parsley, Sage, Rosemary & Thyme (1966), Bookends (1968) und Bridge Over Troubled Water (1970). Von denen verkauften sich die mittleren drei Alben jeweils sage und schreibe über 5 Millionen mal. Bridge Over Troubled Water sogar fast 20 Millionen mal, was es bis dato zum erfolgreichsten Album überhaupt machte.3 Bob Dylans hat im Vergleich zwar ebenfalls ganze vier Alben in seinem Katalog, die die 5 Millionen LP-Verkaufsgrenze überschreiten, aber das in einer Sammlung von fast 40 Alben über sechs Jahrzehnte. Und sein meistverkauftes Album Desire (1976) kommt mit 7,7 Millionen LP-Verkäufen4 lange nicht an Simon & Garfunkels Bridge Over Troubled Water heran. Bob Dylan und Paul Simon waren also zwei der großen Player im Folk-Game der 60er Jahre. Der eine eine ikonische Figur der Gegenkultur. Zigaretterauchend und schelmisch grinsend mit wildem Haarschopf und cooler Sonnenbrille. Der andere ein schmunzelnder, kleiner Melancholiker mit kurzem, gekämmten Haar, der seine Gitarre zwischen Pop-Fabrik und Beatnik-Folk mit feinem Fingerpicking spielt.
Kleinstadtleben in Minnesota und Musikerhaushalt in Brooklyn – Die Kindheiten von Bob Dylan und Paul Simon
Bob Dylan und Paul Simon sind zwei Figuren die so viel gemeinsam haben und die doch so vieles trennt. Beide kommen aus einem mehr oder minder Arbeiterklassenhaushalt mit jüdischem Hintergrund und fanden schnell ihren Weg nach New York. Bob Dylan wurde in die Bergbauregion der Iron Range in Minnesota hineingeboren. Eine von Zu- und Abwanderung geprägte Gegend voller Wanderarbeiter, hoch im Norden der USA und ein bisschen auch mitten im Nirgendwo. Sein Elternhaus war nicht sehr musikalisch. Vater und Mutter Abe und Beatty Zimmerman führten ein eher kleinstädtisches Leben in der kleinen jüdischen Gemeinde in Hibbing/Minnesota. Abe war ehemals leitender Angestellter eines Ölraffinerie-Unternehmens und verdiente sein Brot danach als Elektriker und Waschmaschinenverkäufer. Bob Dylan war ein lebendiges, neugieriges und etwas rebellisches Kind, das den Rock’n’Roll und Country schnell lieben lernte, für Aufruhr mit einem Konzert seiner Rock’n’Roll Band in seiner High School sorgte und als jugendlicher Abenteurer erst nach Minneapolis und dann um 1960 nach New York ging um als Held mit der Gitarre ganz groß raus zu kommen. 1962 bringt er inspiriert von seinen Besuchen bei Woody Guthrie und geformt durch die Beatnik Folk-Szene New Yorks sein Folk Debütalbum heraus: Bob Dylan.

Paul Simon wird nur knapp ein halbes Jahr nach Bob Dylan, im Oktober 1941, in Newark in New Jersey geboren. Sein Vater Louis stammte aus einer österreich-ungarischen jüdischen Schneider Familie die im frühen 20. Jahrhundert in die USA nach New Jersey emigrierte. Louis Simon war an einer Karriere als Schneider wenig interessiert. Die Nähe zu New York und der in den 20er und 30er Jahren allgegenwärtige Jazz in den Metropolen der US-Ostküste zogen ihn da gleich mehr in den Bann. Er lernte Jazz-Kontrabass und war in den 30er Jahren bereits professioneller Musiker. Zu High School Zeiten hatte er schon erste regelmäßige bezahlte Gigs und das Geschäft mit der Musik ging gut. Paul Simon wurde in diesen Musikerhaushalt in Newark 1941 hineingeboren und die Familie zog schnell nach Brooklyn. Paul Simon verbrachte seine Kindheit hier und besuchte erst die PS 164 Schule im recht betuchten, weißen Viertel Forest Hills in Brooklyn. Hier traf er auch auf Art Garfunkel und eine tiefe Freundschaft verband die beiden musikbegeisterten Jugendlichen. Dann besuchten beide die sehr angesehene Forest Hills High School. Mit dem Schulhauptgebäude das im Stil des griechischen Antiken Hellenismus erbaut wurde und diversen Auszeichnungen der US-Regierung kann man hier durchaus von einer recht elitären Bildung und Wert auf Prestige reden. Nachdem Paul durch seinen Vater früh die Musik in sein Leben willkommen hieß, war er von der Faszination gepackt, auch Profimusiker zu werden. Dabei war er durchaus von der Musik seiner Zeit geprägt: er und Art waren Teil der Abschlussklasse von 1958 und früher Rock’n’Roll prägte auch hier die ganze Generation. Dazu kam vor allem bei Paul Simon auch die Liebe zum Doo-Wop und lustigen Teenager Novelty- und Nonsense-Songs. Das war genau das, das Paul Simon seit den späten 50ern machen wollte: ein Doo-Wop Star werden.Ein wenig zum Ärger seinen Vaters. Doch Paul blieb am Ball, er verschaffte sich durch die Stellung seines Vaters als Profimusiker Kontakt zu ersten Managern, Aufnahmen und Zutritt zu Musikstudios. Paul Simon machte schnell erste kommerzielle Aufnahmen. Meistens Teenage Rock’n’Roll Diddys und Novelty Songs. Und das war seine Karriere bis in die frühen 60er hinein. so wie er hier 1962 Funny Little Girl singt. Mit Art Garfunkel machte Paul Simon als Duopartner schon früh gemeinsam Musik. 1957 haben beide ihr Duo Tom & Jerry gegründet. Und ihr Projekt wurde gleich mit Erfolg gekrönt: im selben Jahr – beide waren gerade einmal frische 16 – schrieben sie in einer Stunde den Song Hey Schoolgirl. Nachdem der Song mit Hilfe eines Freunds von Louis Simon ge-copyrighted wurde, spielten diverse New Yorker Radiostationen das Lied. Es wurde ein regelrechter Hit. Mit seinem jugendlichen Charme und den frechen Doo-Wop Harmonien war der Song ein voller Erfolg für den Teenager-Markt. Paul Simon war genau da, wo er sein wollte. Doch so schnell wie der Erfolg kam, so schnell verpuffte er auch wieder. Paul Simon (damals noch unter dem alias Jerry Landis) hatte noch ein, zwei kleinere Hits, aber danach verkauften sich seine Songs einfach nicht mehr. Paul war auf den Boden der Tatsachen geholt, doch sein Leben hat sich mittlerweile so oder so gewandelt. Er war jetzt Student. Er studierte am Queens College und verbrachte seine Zeit am Campus. 1962 war er kaum noch wiederzuerkennen. Er trug einen modischen Schal lose um den Hals geschlagen und hörte Folk Music. Mit dem Kingston Trio und Pete Seeger war spätestens Anfang der 60er Folk schon auf allen Campus der großen Städte der USA angekommen. Paul Simon war nun das, was Bob Dylan ein oder zwei Jahre früher geworden ist: ein durch den Rock’n’Roll der 50er Jahre transformierter Folk-Musiker.

Die Folk-Szene als Spielwiese und Arena – Bob Dylan und Paul Simon als junge Folkmusiker
Bob Dylan war 1962 bereits ein lokaler Superstar. Die Folk-Szene in Greenwich Village feierte den jungen aus Minnesota, der Woody Guthrie vergötterte und ein bisschen auch der neue Woody Guthrie von New York wurde. Ähnlich wie sein Vorbild war Dylan auch komplett im Duktus eines etwas abgewetzten, mysteriösen Wanderers unterwegs, der von Gerechtigkeit und den echten Problemen der Welt sang: Armut, Rassismus. Er produzierte keine Sing-Along Hits der Industrie, er war der Real Deal. Und das kam für Paul Simon gerade richtig. Als er 1962 Dylans Debütalbum zum ersten mal hörte, war er völlig fasziniert. Er und sein alter Nachbar und Schulfreund, Al Kooper, hörten oft gemeinsam Schallplatten. Al Kooper hasste Dylans Album vorerst. Zu näselnder Gesang, keine musikalische Finesse. Aber der junge Paul Simon überzeugte ihn schließlich doch hinzuhören. Und so begann Al Koopers Dylan-Faszination. Nur wenige Jahre später sollte er voll von Dylans Werk begeistert bei den Aufnahmesessions zu Like A Rolling Stone erscheinen und ab da an Dylans Keyboarder werden. Und Dylans ernster, fokussierter, ehrlicher Songstil traf bei Simon gleich ins Herz. Paul Simon war schon länger ein Folkie der sich für erwachsene Themen interessierte. Er wollte keine Teenager-Hits mehr schreiben. So entstanden Paul Simons ersten ernsteren Songs ab 1963. Bleecker Street und On A Side of a Hill waren erste, gelungene Experimente. Doch im Frühling 1963 schreibt Paul Simon seinen ersten wirklich politischen und anprangernden Song voll Düsterheit und Dylan-esquem Gebaren: He Was My Brother über den ermordeten Civil Rights Aktivisten Andrew Goodman. Er und Art Garfunkel entdecken den Folk quasi parallel für sich und entscheiden, ab jetzt zusammen auch mehr als nur Teenager-Popsongs zu singen.

Paul Simon war in den vorhergehenden Jahren schon oft auf Reisen gewesen um sich Inspiration zu suchen. Anfang der 60er reiste er schon zu Freunden nach Kalifornien, doch 1963 entdeckte er seine Liebe zu England. Er reiste nach London um das Bohemian Folklife dort kennenzulernen. Und tatsächlich: die Zeit tat ihm gut. Er entdeckte die wachsende UK Folk-Szene für sich, samt Bert Jansch und Davy Graham, er lernte die Folk-Gitarrenstile wie das Fingerpicking und spielte fern von zu Hause seine Gigs. Er kehrte zurück in die USA und schreibt seinen nächsten düsteren Song, inspiriert von der Ermordung John F. Kennedys: The Sound of Silence. Paul Simon ist da 22 Jahre alt und ein Songwriter, der durchaus in der etablierten Musikproduktion vernetzt ist, aber neben kleinen Gigs in Greenwich Village völlig unbekannt. Bob Dylan ist zu der Zeit bereits ein Star. Durch seine Veröffentlichung von The Freewheelin‘ Bob Dylan im Mai 1963 ist Dylan zum internationalen Sternchen geworden. Er ist the voice of his generation. Die Bee Gees singen Blowing in the Wind im australischen Fernsehen. Bob Dylan spielt zum ersten Mal auf dem Newport Folk Festival im Sommer 1963. Paul Simon geht wieder nach England zurück, schläft auf vielen Couches, spielt viele Auftritte in Pubs und versucht, sich zu etablieren und das 60s Leben des Künstlers zu leben. Er verfolgt die Musik von Pete Seeger und Bob Dylan ziemlich genau, wie es in der Welt des Folk zu der Zeit auch kaum noch anders zu machen ist. Doch er fällt hier vor allem wegen seines neuen, atmosphärischen, düster-träumerischen Songs voll Gesellschaftskritik auf: The Sound of Silence. Überall wo er diesen Songs spielt, hören die Leute gebannt zu. Und Paul Simon macht sich einen kleinen Namen in London und den anderen Städten in denen er mittlerweile Gigs bekommt. Er flechtet sich gut in das Netz der Folkmusiker ein, produziert sogar das erste Album von Jackson C. Frank. Wieder in New York klopft Paul Simon gleich an die Tür des Columbia Records Produzenten Tom Wilson. Der modisch gekleidete African-American war der Folk-Produzent seiner Zeit. Kurz vorher hat er Dylans bahnbrechendes The Freewheelin‘ Bob Dylan produziert. Er hatte eine Nase für Talent. Paul Simon wusste genau, an wen er sich hier wendete um das erste Simon & Garfunkel Album zu produzieren. Simon sang ihm nur die ersten Takte von The Sound of Silence vor und Wilson nickte schon mit dem Kopf: hier hatte er den nächsten Star vor sich. Es kam sehr schnell zum Vertrag mit Columbia Records. Im Frühling 1964 nahm Paul Simon also mit Art Garfunkel ihr erstes Album Wednesday Morning, 3AM auf, das im Oktober des selben Jahres erschien. Das akustische Album ist gefüllt mit Dylan-esquen Titeln, biblischen Hoffnungshymnen und leisen nachdenklichen Tracks. Um sich schlussendlich zu positionieren, spielen Simon & Garfunkel hier aber auch ein Cover vom Folk-Star Dylan: ihre Version von The Times They Are A-Changing. Ein Song, der da selbst erst nur seit einigen Monaten draußen ist.

Nur wenige Tage vor dem der letzten Recording Session für das Album spielen Simon & Garfunkel ihren ersten gemeinsamen richtigen Folk-Gig im legendären Gerde’s Folk City. Die delikaten Harmonien erfüllen andächtig den Raum und das Publikum ist gebannt. Die ganze Riga der Folk-Szene ist anwesend. Tom Wilson ist selbst dabei und auch Barry Kornfeld, der auf dem Album etwas Gitarre beisteuert ist im Publikum. Doch der Höhepunkt des Abends ist Bob Dylan, der mit dem New York Times Journalisten und seinem späterem Biographen Robert Shelton aufkreuzt. Die beiden hatten schon einige Drinks intus und waren zu Scherzen aufgelegt. Shelton beschreibt den Abend als skurriles Zusammentreffen: Bob Dylan hält sich erst die Hand vor den Mund, dann beginnt er zu lachen und kann nicht mehr aufhören. Zwischen den polierten, leisen Folksongs kracht sein Lachen förmlich in den Raum hinein. Jeder im Raum war sowohl von den Songs der zwei New Yorker, als auch von Dylans schallendem Gelächter gebannt. Shelton schwörte bis zum Ende, dass das Lachen nicht der Musik galt, aber immerhin zeigt dieser Abend, dass Bob Dylan nicht zu denen gehörte, die Simon & Garfunkel von Anfang an den roten Teppich im Village ausrollte. Prinzipiell war das erste Treffen zwischen Bob Dylan und Paul Simon nur wenige Tage vor dem Gig eher kühl als freundschaftlich. Peter Ames Carlin schreibt dazu in seiner Paul Simon Biographie Homeward Bound: The Life of Paul Simon:
„Dylan and Paul had met for the first time only days earlier, and the encounter had gone badly. Despite having so much in common, included extended visits with the same folk musicians in London, the two couldn’t find anything to say to each other. So they traded the smallest of small talk. Neither pretended to be delighted, or even all that interested, in meeting the other. ‚Oh yeah, how’s it going? You’re Kornfield’s friend, right? So, yeah. Hi, okay.‘ Then back to their separate corners, separate friends, and separate visions of the world and their rightful place within it. Maybe it was the same place, and maybe there was only room for one of them.“5
Und das beschreibt die Folk-Szene von Greenwich Village in den frühen 60ern eben auch: Ein Netzwerk aus sich gut bekannten Folkmusikern, die kooperieren, sich kennen und Freundschaften schließen, aber eben auch eine geschlossene Gemeinschaft mit selben Werten der Musikästhetik und kleinen und großen Rivalitäten. Und für die Neo-Ethics wie Bob Dylan, die einen möglichst rauen, authentischen Sound haben wollen, Ehrlichkeit wollen, ist delikater Harmoniegesang und leise Intimität oft auch die feindliche Pop-Welt. Und Paul Simon stand, auch mit seiner bisherigen Karriere, durchaus auch für diese Welt in den Augen der nach Authentizität strebenden Folkies. Im Village hat ganz klar der ein oder andere mit den Augen gerollt als er die Musik von Simon & Garfunkel zuerst hörte.
Das Album Wednesday Morning, 3Am trifft mit seiner Auswahl durchaus den Nerv der Zeit, doch als es im Oktober 1964 rauskommt, ist es kein großer Verkaufsschlager. Paul Simon hat nicht den erhofften Erfolg mit seinem Album und tourt lieber weiter durch England.
Paul Simon wird zum Star und Bob Dylan erfindet sich neu
Nach der Schlappe von Wednesday Morning, 3AM ist Paul Simon wieder im UK unterwegs. Er zieht sich zurück in die Welt die er kennt: die Folk-Szene Englands. Doch ohne sein Wissen kommt sein Song The Sound of Silence bei einem ganz großen Publikum an. Tom Wilson ist im Folk-Rock-Fieber. Er hat den Trend der elektrifizierten Folkmusik erkannt und nimmt am 15. Juni 1965 Bob Dylans Like A Rolling Stone mit rockiger Backing Band auf, der ein Meilenstein in der Geschichte des Folk und Rock werden sollte. Am selben Tag hat er noch etwas Zeit im Studio und lässt mit der selben Band einen Backing Track mit E-Bass, Schlagzeug und E-Gitarre für die alte Aufnahme von The Sound of Silence aufnehmen. Mit seinem Folk-Rock Drive und dem prophetischen Text wird der Song so fast ein Jahr nach seiner Veröffentlichung ein riesen Hit. Wenn Paul Simon nur kurz danach nach New York zurückkommt, ist er bereits ein Star.
Columbia Records weiß genau, wie sie mit ihren Stars des Folk und Rock umgehen. Bob Dylan nimmt nach dem Erfolg seiner Single von Like A Rolling Stone sein nächstes Album Highway 61 Revisited schon beim Country und Rock’n’Roll Produzenten Bob Johnston auf. Und auch Simon & Garfunkel als neue Stars am Himmel zwischen Rock und Folk bekommen sofort einen Vertrag für ein neues Album. Man weiß, dass die zwei Jungs Geld bedeuten. Der Produzent: Bob Johnston. Wie erwartet, wurde ihr nächstes Album Sounds of Silence Anfang 1966 ein Hit in England und den USA.
Doch für Bob Dylan kommt dieser Genrewechsel etwas anders. Dylan will aktiv in Richtung Rock gehen und sieht seine neue, wildere Musik nach Jahren des Erfolgs seiner Folk-Songs nur noch mit dem Werkzeug des Rock zu verwirklichen. Und dafür muss er ziemlich einstecken: Im Sommer 1965 spielt er mit Rockband auf dem Newport Folk Festival und wird ausgebuht. Seine Tour 1966 wird zur Zerreißprobe zwischen unzufriedenem Publikum und ständigem Gegenwind durch Presse und Öffentlichkeit. Paul Simon im Gegensatz wusste weder von der Ver-Rock-ung seiner Musik, noch war er irgendwie begeistert von dem Abstecher in die Welt der E-Gitarren und Schlagzeug-Beats. Beim ersten Hören des Remixes von Tom Wilson 1965 war er völlig entsetzt. Die Konzerte von Simon & Garfunkel bleiben bis 1969 völlig akustisch mit den Singstimmen der zwei und Paul Simons Akustikgitarre. Bob Dylan tourt die ganzen 60er und 70er Jahre nur noch mit Band.

Paul Simon und Bob Dylan – verschiedene Künstler und gemeinsame Wurzeln
Paul Simon und Bob Dylan sind Teil einer ganzen Welle von Kids, die in den frühen 60ern als Folkmusiker die Szene aufmischen und aus bürgerlichen, jüdischen Haushalten kommen. Rambling Jack Elliot war ein weiterer der Jewish Cowboys, die sich in der Musik der Landbevölkerung versuchten und diese genial neu interpretierten. Ähnlich auch Phil Ochs. Der Unterschied zwischen Bob Dylan und Paul Simon ist eben der, dass Bob Dylan immer das Bild des mysteriösen, wandernden Troubardours verfolgen wollte. Er kannte die Armut der Arbeiterklasse aus seiner Heimat in Minnesota und wollte wie Woody Guthrie mit staubbedeckter Hose durch die Prärie tingeln. Für ihn gab es kein Richtig und Falsch, nur oben und unten. Er wollte das raue Amerika präsentieren und war an keine Musiktraditionen geknüpft. Paul Simon ist Musiker in zweiter Generation aus einem städtischen Haushalt. Er war vertraut mit der Profi-Musikszene von New York und den Songwriter-Schulen der Zeit. Bob Dylan war ein Phänomen der 60er Jahre, das nur in diesem Kontext, zu dieser Zeit an diesem Ort funktioniert hätte. Seine eigentümlichen musikalischen Stilblüten waren der faszinierende Part von Dylans Bühnenpräsenz. Paul Simon war schon früh versiert und professionalisiert. Doch musste er sich in die schräge Welt der Beatniks und Hipster New Yorks erst einmal reinfinden und formte sich erst im weit entfernten England. Er war kein Neo-Ethnic und kannte sich nicht so gut im Folk Song Book aus wie Bob Dylan. Wäre das Folk-Revival nicht gekommen, Paul Simon hätte so oder so seinen Weg in die Musikindustrie gefunden.
Paul Simon und Bob Dylan respektieren das musikalische Werk des anderen durch die Jahrzehnte und bis heute. Beide traten sie im Musikvideo zu We Are the World auf und tourten sogar gemeinsam auf Dylans Never Ending Tour im Jahr 1999.
Interessant ist, dass das Folk-Netzwerk von Greenwich Village Bob Dylan schnell feierte, Paul Simon aber nicht sofort ganz in seine Arme nahm. Doch auch hier zeigt sich, dass sich um bestimme Figuren als Zentrum dieses Systems alle anderen Musiker kreisen. Bob Dylans Beziehung und Faszination Dave van Ronk gegenüber ist bekannt. Als Mayor of MacDougal Street war der Riese aus Brooklyn der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Szene. Dylan lernte bei ihm und nahm ihn als seinen Mentor auf. Aber auch Paul Simon kam an van Ronk nicht vorbei. Er verbrachte viel Zeit in seinem Wohnzimmer, diskutierte über Musik und hörte Platten. Hier bekam Paul Simon zum ersten Mal die ethnische Musikschulung, die ihm später als einen der wenigen 60s Folk Stars durch die 80er Jahre bringen sollte. Er hörte ukrainischen Volksgesang und andere Musik fremder Kulturen. Das sollte ihm später den Weg zu südamerikanischer Musik mit El Condor Pasa und vor allem zu afrikanischer Musik und seinem erfolgreichen Album Graceland von 1986 führen. Egal ob Bob Dylan oder Paul Simon, sie beide sind Kinder von Greenwich Village und ihr Leben und Wirken in den 60er Jahren ist immer verbunden mit den Umständen ihrer Zeit. Egal ob sie sich viel zu sagen haben oder nicht.
1Van der Kiste, Joe: A Beatles Miscellany: Everything You Always Wanted to Know about the Beatles But Were Afraid to Ask. Fonthill Media, 2017 (1. Auflage).
2Siehe: https://chartmasters.org/2020/04/most-successful-artists-by-decade/
3Siehe: https://chartmasters.org/2018/05/cspc-simon-garfunkel-popularity-analysis/33/
4Siehe: https://chartmasters.org/2016/10/cspc-bob-dylan-popularity-analysis/67/
5Carlin, Peter Ames (2016). Homeward Bound. The Life of Paul Simon. London: Constable, S.92.
[…] Paul Simon & Bob Dylan in the 60s – Der Weg von Folk zu Rock zweier Stars der 60er Jahre […]
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