„Dylan möchte sich selbst von einer guten Sache nicht vollständig vereinnahmen lassen“

Der Hamburger Senator für Kultur und Medien Carsten Brosda im Gespräch mit Key West über Narrativ, Assoziation und Identifikation bei Bob Dylan – Teil 2

von Thomas Waldherr

In der letzten „Key „West“ hatten wir den ersten Teil eines langen Interviews mit Carsten Brosda veröffentlicht. Heute folgt der zweite und letzte Teil. Er schließt an am Vergleich Brosdas von Springsteen und Dylan. Sie, so Brosda, „markieren beide zentrale Ecksteine, die man nicht wegdenken kann und wahrscheinlich braucht es sogar das Spannungsfeld der beiden.“

Ja, das denke ich auch. Beide sind sehr unterschiedliche Künstler, aber jeder hat auf seine Weise eine ungebrochene Relevanz für die amerikanische Kultur. Ich wollte aber nochmal zurückkommen auf diesen Vergleich von Merle Haggards „Workingmans Blues“ und Bob Dylans „Workingmans Blues #2“. Das ist ja jetzt auch schon eine Weile her, dass sie das in einer Rede von Olaf Scholz eingebaut haben. Wenn man die Geschichte weiterschreibt: Wie geht es denn dem Workingman heute angesichts von Trumpismus, AfD, Identitären und diesen Debatten?

Kultursenator Carsten Brosda. Foto: Marcelo Hernandez

BROSDA: Na, ja, ich meine am Ende sind es immer noch diese beiden Pole, zwischen denen man sich bewegt. Jedenfalls ist mir der „Workingmans Blues #3“ bis jetzt noch nicht begegnet. Vielleicht wäre es eher noch eine Erweiterung. Da ist zum Beispiel Margo Price „Pay Gap“, das davon erzählt, wie Frauen auf dem Arbeitsmarkt völlig benachteiligt werden. „Rippin‘ my dollars in half“ wie sie singt. Im Kern ist es diese Diskrepanz zwischen der Selbstverständlichkeit des Merle Haggard-Arbeiters auf der einen Seite, der sagt: „Ich habe noch nie in diesem Leben einen Tag nicht gearbeitet, ich kann mich um meine Familie kümmern, am Freitag versaufe ich das was übrigbleibt und am Montag gehe ich wieder arbeiten“, und auf der anderen Seite diese Depression des entfremdeten Arbeiters bei Dylan, der sich vierzig Jahre später als Spielball größerer Mächte sieht, die mit ihm was tun, und die dafür sorgen, dass er nicht mehr klar kommt. Ich glaube das erste, diese Merle Haggard-Variante, ist auf eine bestimmte Art immer noch die Fiktion, die die Populisten dieser Welt bedienen, wenn sie wie Trump durch die USA ziehen und sagen „Ich schaffe Euch wieder die Möglichkeit genauso zu leben, wie ihr damals gelebt habt. Oder wie Eure Väter gelebt haben“. Und daher ist Merle Haggard auch so eine umstrittene Figur und man bekommt ihn nicht so leicht zu fassen: Wie konservativ ist er denn eigentlich? Während der Dylan’sche Arbeiter eher eine Defizitanalyse vorlegt: „So schlecht geht es Dir“. Was jetzt fehlen würde und was spannend wäre, wäre ein Song darüber, wie nicht entfremdete Arbeit aussehen kann, die aber nicht zu den scheinbar geordneten Merle Haggard-Verhältnissen zurückführt? Diesen Song kenne ich nicht, vielleicht ist er aber da draußen und ich habe ihn noch nicht gehört. Haggard kann ihn nicht mehr schreiben, Dylan hat ihn danach nicht geschrieben. Vielleicht ist dann am ehesten der dritte Song, den man in diese Reihe stellen kann, „Youngstown“ von Bruce Springsteen. Mit diesem Arbeiter, der von seinem Boss in den Arbeitsmarkt entlassen wird und der selber sagt „Ich kann nichts anderes, wenn das nicht geht, stehe ich lieber in den Hochöfen der Hölle.“ Es ist meisterlich beschrieben in diesen Songs, durch welch emotionalen Zustände Menschen gehen, die letztlich nichts anderes wollen, als für diese harte Arbeit, die sie leisten, auch gesellschaftlichen Respekt zu bekommen. Dieser Respekt fehlt jedoch häufig. Diesen Topos finde ich derzeit recht breit in der Kunst vertreten. Den finde ich im aktuellen Rap, oder im Punk. Wenn es heißt „gebt mir einen Platz in der Gesellschaft, der nicht der Platz unserer Großeltern ist, die fünfzig Stunden in der Woche in der Montanindustrie gearbeitet haben“.

Also tatsächlich eine Idee von „Wir müssen den Leuten Arbeitsplätze geben, aber eben nicht diese“. Die Sozialdemokratie hat ja viel zu lange an überkommenen Industrien und Arbeitsplätzen festgehalten, die keine Zukunft mehr hatten, anstatt auch im Sinne der Menschen den Strukturwandel einzuleiten.

BROSDA: Wer im Ruhrgebiet aufgewachsen ist, wie ich, der kennt das. Die Leute dort, die ihren Job verlieren, haben halt Stahlarbeiter gelernt. Denen jetzt zu sagen, „Du kannst aber was ganz anderes in einer transformierten ökologisch wertvollen Industrie machen oder Du kannst einen Bürojob haben oder einen Pflegeberuf“ – das ist für die natürlich nicht sofort alltagsplausibel. Gleichzeitig ist das die Aufgabe vor der wir als Gesellschaft stehen. Arbeit, davon bin ich fest überzeugt, werden wir immer genug haben. Die entscheidende Frage ist aber: Ist es gute Arbeit? Ist es würdevolle Arbeit? Das zu organisieren ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Da reicht es nicht quasi potemkinsche Arbeitsdörfer zu erhalten, in denen Menschen nur so tun, als ob sie so arbeiten, wie sie früher gearbeitet haben, ohne dass es volkswirtschaftlichen Sinn hätte. So sah das aber stellenweise in meiner Jugend im Ruhrgebiet aus: Da ist die klassische Arbeit nochmal ein bisschen verlängert worden, weil niemand wusste, was man danach machen sollte. Das ist letztlich kein fairer Umgang mit den Betroffenen. Aber die alleine zu lassen mit einer sich verändernden Volkswirtschaft, in der letztlich dann doch wieder die alten marxschen Begriffe gelten, dass das Kapital am Ende mehr Gestaltungsmacht hat als die Arbeit – das ist auch keine Alternative. Nur über das Thema „Was ist gute, zukünftige Arbeit“ – darüber singt halt kaum einer. Mir ist da noch kein guter Song über das Dasein in einem Start Up begegnet, außer vielleicht Funny van Dannens „Baut kleine geile Firmen auf!“ (beide lachen)

Ja, das sehe ich auch. Musik kann schon auch Gesellschaftsentwürfe erschaffen, aber das hier ist vielleicht ein zu konkretes politisches Thema…

BROSDA: …wir wollen ja auch keine Erbauungskunst…

Nein, sicherlich nicht. Zurück zu Dylan: Haben sie so etwas wie ein Lieblingszitat von Bob Dylan?

BROSDA: Ja, ganz lange waren es unterschiedliche Sentenzen aus „Desolation Row“ wie bei wahrscheinlich vielen Dylan-Fans. Sei es nun „Everybody is making love or else expecting rain“ oder „I had to rearrange their faces and give them all another name“. Solche Sachen bleiben immer hängen. Als Politiker fand ich dann eine lange Zeit „Don’t follow leaders, watch the parking meters“ immer wieder sehr passend. In den letzten Jahren ist es ein anderes Zitat, das großartige „I used to care, but things have changed“. Aber dagegen versuche ich anzuarbeiten, dass diese Haltung nicht zu früh bei mir greift. Es ist eine schöne Warnung, mich dieser Emotion nicht zu übergeben.

Das ist auch ein Zitat, das bei mir ambivalent ankommt. Wir verstehen ja Key West als historisch-kritisches Dylan-Magazin. Und bei den Dylanologen gibt es natürlich auch einige Schulen. Einige interpretieren Dylan da durchaus auch konservativ, es ist alles möglich. Ich suche jedoch immer noch den gesellschaftskritischen Stachel bei Dylan und den finde ich auch immer noch. Aber wenn wir da bei diesem Thema sind: Wieviel Empathie hat Bob Dylan für das Personal seiner Songs, denen oftmals übel mitgespielt wird?

BROSDA: Oh, das ist eine große, philosophische Frage. Da komme ich nochmal auf eine frühere Frage zurück, nämlich zum eigentlichen Unterschied von Bob Dylan und Bruce Springsteen. Springsteen hat eine wahnsinnige Empathie für seine Leute. Man hat das Gefühl, Springsteen besingt sich immer ein Stück weit selber. Und Dylan – so mein persönliches Gefühl – hält eine unheimlich harte Distanz zu dem worüber er singt. Das geht bei seinen Live-Auftritten manchmal bis zu diesem so verhassten „Upsinging“, bei dem er am Ende einer jeden Zeile einen Ton höher geht. Deswegen hätte ich schon mal ein Konzert fast verlassen (lacht). Das heißt nicht, dass für ihn da keine Empathie dabei ist, doch er braucht den Abstand. Und manchmal lässt er die Distanz dann auch zu groß werden. Und dann verliert man sich auch als Fan ein wenig.

So richtig hat er mich dann gepackt mit „Time Out Of Mind“. Bei Songs wie „Not Dark Yet“ war null Distanz. Da ist eine totale Empathie. Da singt einer, der ganz existentiell betroffen ist. Dadurch habe ich nochmal einen ganz neuen Zugang zu Dylans Werk gefunden. Und dann habe ich geschaut, wo denn noch solche Punkte sind. Und dann habe ich Platten wie „Street Legal“ nochmal ganz anders gehört. Es gibt Songs, die sind total distanziert und andere die sind sehr nah.

Ich finde Dylan aber vor allem sehr häufig ironisch. Die Ironie von Bob Dylan ist so eine Kategorie, die ich noch nicht ganz durchdrungen habe. Manchmal nehmen ihn alle Leute viel ernster, als er sich selber nimmt. Vielleicht war er daher bei seinen Radiosendungen am meisten bei sich selbst, wo man jemanden gehört hat, der vor allem Fan alter, großartiger Lieder ist.

Ja, ich finde, dass er auch als Humorist unterschätzt wird. Seine Moderationen dort waren ja per se sehr unterhaltsam und humorvoll, in manchen seiner Songs komme zur Geltung oder auch auf der Bühne, mittlerweile erzählt er auch Witzchen auf der Bühne…

BROSDA: …ja, ich war mit großer Freude in diesem Münsteraner Konzert, wo er „If Dogs Run Free“ gespielt hat. Tatsächlich wird bei ihm die humoristische Dimension unterschätzt.

Ich denke, dass bei seinen Songs oft die Empathie hinter der Frage zurücktritt „was war denn hinter dem Ereignis los?“ Ich denke da an einen Aha-Moment für mich. Ich schaue mir seinen Auftritt vom August 1963 beim „March of Washington“ an. Er ist quasi im Vorprogramm von Martin Luther King und spielt „Only A Pawn in Their Game“. Er hätte es sich einfacher machen können mit einem Song, der den Rassimus und die brutalen Täter anprangert. Aber er spielt diesen Song, der die Mechanismen und Strukturen untersucht, die zur Brutalität des White Trash gegen Schwarze führen.

BROSDA: Das war tatsächlich erst vor wenigen Wochen Thema im Deutschlandfunk. Dylan spielt vor Martin Luther King und trägt mit einem ganz eigenen Akzent aus seiner Kunst heraus zu dieser Veranstaltung bei, liefert etwas Eigenes. Und dann ist es wieder so typisch Dylan, der sich selbst von einer guten Sache als Künstler nicht vollständig vereinnahmen lassen will.

Das ist doch schon so etwas wie ein richtig gutes Schlusswort. Leider können wir beide unser Zeitbudget nicht mehr weiter strapazieren. Ich könnte noch lange mit Ihnen sprechen. Vielen Dank, Herr Brosda, dass Sie sich die Zeit genommen haben, vielleicht können wir das ja mal bei anderer Gelegenheit fortführen.

BROSDA: Gerne, ich danke Ihnen!

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