… there’s nothing, really nothing to turn off – Teil 2

Oliver Kanehl begibt sich anhand zahlreicher Songs auf eine Spurensuche nach den Wechselwirkungen von Countrymusik und Bob Dylans Werk – erstmals veröffentlicht im Rahmen seines Radio-Podcasts HONKY TONK BLUES aus Anlass von Bob Dylans 80. Geburtstag 2021.

Teil 2

Drifting Too Far From the Shore von den Monroe Brothers klingt wie Musik aus einer anderen Welt und hat auch textlich einen etwas mystischen, ja vielleicht sogar leicht unheimlichen Unterton, und zweifellos sind es Charlie und Bob Monroes Harmonyvocals, die einen beim Hören besonders berühren.

Wenn es um seine Biografie geht, hat Robert Allen Zimmermann, der Mann, den wir heute als Bob Dylan kennen, schon immer einiges im Unklaren gelassen bzw. selbst Mythen bemüht, die gute Geschichten sind, aber nicht unbedingt die objektive Wahrheit. In Martin Scorseses wunderbarem Dokumentarfilm No Direction Home erzählt Dylan, wie die Musik einst in sein Leben getreten sei. Und auch das hat – wie er sogar selbst sagt – mystische Züge:

In Kindertagen habe er einmal in dem Wohnhaus, das sein Vater kurz zuvor für die Familie gekauft habe, in einem Zimmer eine Gitarre gefunden. Und eines schönen Tages entdeckte er dann noch außerdem eine von den Vorbesitzern zurückgelassene Mahagoni Musiktruhe – auf deren Plattenteller jener Song der Monroes. Als er das Stück gehört habe, habe es ihn tief berührt und gleichsam verwandelt:

„The Sound of the record made me feel I was somebody else. That I wasn’t born to the right parents or something…”

Im Mai 1936 war diese Schellackplatte bei dem RCA Tochterlabel Blue Bird, bei dem auch Jimmie Rodgers seine Aufnahmen veröffentlichte, erschienen – ziemlich genau fünf Jahre bevor Dylan geboren wurde. Und Jimmie Rodgers ist das Stichwort, deshalb hier noch ein weiteres Beispiel für Dylans Liebe zum Father of Country Music, eine Liebe, die er natürlich mit vielen Country-Musikern teilt. Einer dieser Musiker war auch Johnny Cash. Und wir können uns freuen, dass der Moment, als Dylan und Cash spontan ein paar Rodgers-Nummern improvisierten, mitgeschnitten wurde. Doch leider kann ich Jimmie Rodgers Medley No. 1 (Take 1) hier nicht präsentieren, da die Aufnahme online nicht frei zugänglich ist.

Als Bob Dylans Country-Album schlechthin gilt nach wie vor Nashville Skyline von 1969. Das liegt sicherlich nicht nur am Titel und einigen Songs, sondern auch an seinem Duett mit Johnny Cash bei Girl from the North Country. Eine fehlerfreie Aufnahme ist dies jedoch nicht. Genaugenommen sind fast alle Titel der sagenumwobenen Dylan / Cash Sessions vom Februar 1969 musikalisch alles andere als perfekt und waren daher lange unter Verschluss und wurden erst 2019 im Rahmen der Bootleg Series nach nunmehr 50 Jahren erstmals offiziell veröffentlicht. Hier kann man auch das eben erwähnte Jimmie Rodgers Medley finden. Während der Aufnahmen zum Album mit dem Arbeitstitel John Wesley Harding Vol.2, dem Album, das später Nashville Skyline heißen sollte, kam Cash ins Studio, und er und Dylan fingen an zu jammen. Ihre gemeinsam improvisierte Version von Dylans Girl From the North Country landete dann auf dem Album, sicherlich weil sie durch ihre pure Schlichtheit und ihren fragilen Charakter besticht.

Cover zum Bob Dylan Album „Nashville Skyline“, Quelle: Columbia Records

Beide Musiker sind wahrhaft keine Duett-Sänger, waren zudem nicht wirklich vorbereitet und tasten sich vorsichtig vor. Ja, da nichts wirklich abgesprochen war, nachtwandeln beide gleichsam durch die Songs des jeweils anderen. Für Fans ist das aber ein durchaus interessantes und beglückendes Aufeinandertreffen, was man mit großem Vergnügen hören kann. Für ihre Plattenfirma Columbia jedoch war es seinerzeit schwierig, daraus veröffentlichbare Songs zu destillieren.

In dieser Zeit schrieb Dylan für Cash auch Wanted Man, das von dem durch Hank Snow bekannt gewordenen I’ve Been Everywhere inspiriert zu sein scheint. Zu hören war Wanted Man das erste Mal auf Cashs nächstem Album Live at San Quentin und war dann ein Jahr später 1970 erstmals als Studioversion auf dem Soundtrack von Little Fauss And Big Halsy enthalten.

Retrospektiv sagte Dylan: “Johnny Cash was more like a religious figure to me.” Cash war jemand aus einer anderen Generation. Beide waren gute zehn Jahre auseinander. Als Cash seine ersten Hits hatte, war Dylan gerade mal 14 Jahre alt. Kein Wunder, dass der Jüngere zu dem Älteren aufschaute.

Johnny Cash seinerseits sah in Bob Dylan schon früh einen Songschreiber, der Hank Williams und Woody Guthrie ebenbürtig war. 1964 war es Cash, der den Kontakt zu Dylan nach dessen Album The Freewheelin’ Bob Dylan gesucht hatte. Im gleichen Jahr trafen sie sich erstmals beim Newport Folk Festival. Dass Cash Dylan nach diesem Treffen seine Gitarre schenkte, bezeichnen manche Exegeten als ein besonders Zeichen des Respekts. Denn der ebenfalls anwesende Bob Neuwirth soll das Ganze so interpretiert haben, dass Cash dies gemäß eines in der Country-Zunft üblichen Brauchs getan habe, nach dem man jemandem, den man verehre, seine Gitarre schenke.

Schöne Geschichte, und in diesem Zusammenhang oft zu lesen. Ich habe in einem anderen Zusammenhang von diesem Brauch gehört und in diesem Fall aber keinen anderen fundierten Beleg für diese schöne archaische Geste gefunden. Cash sagte darüber hingegen, dass er damals vielen Leuten Gitarren geschenkt habe. Dylan habe das Instrument gefallen, da habe er es ihm gegeben, ganz einfach – aus Verbundenheit also.

Cover zu „Travelin‘ Through“, Quelle: Columbia Records

Cash war auch einer der ersten Country-Musiker, die Dylan coverten. Das tat er gleich dreimal auf seinem 1965er Album Orange Blossom Special, auf dem u.a. seine Version von Dylans Klassiker It Ain’t Me Babe zu finden ist.

Und Cash verteidigte Dylan gegen dessen Kritiker, nachdem diese ihm – noch bevor er im folgenden Jahr beginnen würde elektrisch zu spielen – vorwarfen, seinen Stil zu sehr zu verändern und immer persönlichere Stücke zu schreiben. Im Folk-Lager meinte man, die Stimme seiner Generation müsse weiter Hymnen und Protestsongs schreiben. Doch Cash stellte sich vor Dylan und sagte, man solle ihn gefälligst singen lassen.

Auch Waylon Jennings coverte wie Cash bereits 1964 erstmals Don’t Think Twice It’s Alright.

Dylan-Produzent Bob Johnston nahm mehrere Alben mit dem Bluegrass-Duo Flatt & Scruggs auf und überredete die beiden ihr Repertoire zu erweitern und sich auch zeitgenössischen Songwritern zu öffnen. Bei Banjo-Meister Earl Scruggs rannte er damit offene Türen ein, und so nahmen sie über die nächsten Jahre einige Dylan-Titel auf. Ein schönes Beispiel ist Down In the Flood von Flatt & Scruggs‘ 1967er Album Changin‘ Times. Scruggs fand es auf Dauer zu eintönig, nur Traditionals wie Cripple Creek zu spielen. Gitarrist und Leadsänger Lester Flatt war allerdings weit weniger begeistert. Auch wenn er sich zunächst darauf einließ, führten diese neu beschrittenen musikalischen Wege doch 1969 schließlich zum Split des Duos.

Als Chef von Columbia Records in Nashville produzierte Bob Johnston, nachdem er Dylan nach Nashville gelotst hatte, hier auch mehrere Alben von Simon & Garfunkel und nahm mit den Byrds und Leonard Cohen auf. Ebenso nahm er mit Johnny Cash – neben den von ihm produzierten berühmten Gefängnis-Platten – hier einige von dessen Studioalben auf. Laut Cash war Bob Johnston der Einzige bei Columbia, der sich vorstellen konnte, dass ein im Folsom Prison aufgenommenes Live-Album eine tolle Sache sein könnte.

Auch die Dylan / Cash Sessions sind letztlich auf sein Engagement zurückzuführen. Es ist also ohne Frage so, dass auch Bob Johnston einen tiefen Fußabdruck in der Geschichte der Country-Musik hinterlassen hat.

Nach mehreren künstlerisch schwierigen Schaffensjahren begann Dylan sich seit Ende der 80er Jahre wieder zu berappeln, und im Laufe der 90er konnte man auch als Konzertgänger erleben, wie sich ebenso Dylans Selbstverständnis als Performer veränderte: Spätestens seit Ende der Dekade inszeniert sich Bob Dylan rein äußerlich fast immer als Country Gentleman mit Boots, Cowboy-Anzug, Stetson, Bolotie oder Western-Binder. Und auch seine Band ist ähnlich und nahezu einheitlich gekleidet – wie schon die großen Western-Swing-Bands seit den 1930er Jahren. Und wenn Dylan in Nettie Moore vom 2006er Album Modern Times singt I am playing in a Cowboy Band, dann ist das schon rein formal richtig.

Auch musikalisch zeigt sich oftmals eine Hinwendung zu klassischen Country-Sounds. Schön zu hören z.B. in Duquesne Whistle, dem Opener von Bob Dylans 2012er Album Tempest -Western Swing à la Dylan.

In den 90ern bildet sich bei Bob Dylan auch ein verändertes Selbstverständnis als Livemusiker heraus, was sich genauso an das professionelle Musikerdasein klassischer Country-Stars anlehnt, die konsequent im eigenen Bus unterwegs sind und abends routiniert und professionell ihrer Arbeit nachgehen. Nix Rock’n’Roll Lifestyle! – Dylan spielt seitdem pünktlich und routiniert seine Shows. Lange vorbei die Unsicherheit, wann der Meister endlich auf die Bühne kommt oder die unsichere Frage ob der Länge des Konzertes. Dylan liefert ab. Dass das auch nicht jedem gefällt, steht außer Frage, denn His Bobness lässt auch seine größten Hits nie so erklingen wie sie einstmals aufgenommen wurden und wendet sich nicht mal für Ansagen an seine Fans. Dafür überrascht er aber gerade den an Hillbilly- und

Honky-Tonk-Sounds interessierten Musikfreund mit countryesken Versionen seiner Klassiker, was nicht zuletzt auch der Tatsache geschuldet ist, dass seit Mitte der 90er auch immer ein Pedalsteeler zu seiner Liveband gehört.

Erst war dies Bucky Baxter und seit 2006 gehört BR-549s Allroundinstrumentalist Don Herron fest zur Gruppe, der auch schon mal Songs mit Mandoline und Fiddle veredelt.

Ab 2000 klingen manche Dylan-Shows bisweilen wie Country-Konzerte, was sich auch an den von Dylan gespielten Coversongs zeigt. Zwischen 1999 und 2002 eröffnete er z.B. seine Shows allein 59x mit dem Ralph Stanley Song I am the Man Thomas. Ja, was Dylan angeht, gibt es für alles Statistiken.

Bezogen auf Bob Dylans Album-Veröffentlichungen beginnt sein fulminantes Alterswerk 2001 mit Love and Theft, auf dem Po‘ Boy auch Country-Charakter verströmt.

Nach den ausgehenden 1960ern und frühen 70er Jahren hat sich Bob Dylan im Laufe der 90er wieder mehr der Country-Musik zugewandt. Man kann in seinen späteren Jahren wieder einen größeren Einfluss des Genres in Dylans Werk ausmachen. Frei nach der von der Schweizer Band Aeronauten im Song Countrymusik artikulierten Feststellung: Mit dem Alter fängt man an, sich für Country-Musik zu interessieren.

Das zeigt sich neben seinen Liveshows auch in Dylans Kollaborationen im Studio wie z.B. beim Stanley-Brothers-Klassiker The Lonesome River, den er 1998 mit Ralph Stanley für dessen Album Clinch Mountain Country neu einspielte.

Ebenso zeigt sich das in Dylans Wahl seiner Tour-Partner. 2005 tourte Dylan z.B. in den USA gemeinsam mit Merle Haggard. Allerdings teilte er damals nie die Bühne mit ihm. Auf die Frage eines Interviewers, ob er mit Dylan auf der Tour etwas Zeit habe verbringen können, verneinte Haggard und sagte lakonisch die Augen verdrehend „Don’t disturb Einstein.“

Aber ganz kreativer Schwamm hatte Dylan auch ohne direkten Kontakt etwas von dieser Tour mitgenommen: Auf seinem 2006er Album Modern Times nahm Dylan direkt Bezug auf Haggards Song Workin‘ Man Blues, indem er seinen eigenen Song über die Nöte der amerikanischen Working Class Workingman’s Blues #2 nannte und auch darin direkt aus Haggards Stück zitierte. Haggard kommentierte Dylans Werk in einem Interview folgendermaßen: “Good, that gives me a reason to do Blowin’ in the Wind #2”

Man weiß weiß Gott nicht immer, was in Dylan vorgeht. So machte Dylans Dankesrede, nachdem er 2015 den Preis als MusicCares Person of The Year erhalten hatte, insbesondere durch seine Einlassungen zu Merle Haggard und Tom T. Hall von sich reden. Aus seinen Worten klang viel Verletztheit, die aus vergangenen Zeiten herrührte, als Haggard und Hall rein symbolisch für das Country-Establishment standen, das ihn zutiefst verachtete.

Haggard, der 2015 gerade mit Willie Nelson für deren gemeinsames Album Django And Jimmie Dylans Don’t Think Twice It’s Alright gecovert hatte, gab sich irritiert. Seit Jahren wollte er ein ganzes Album mit Songs von Dylan aufnehmen, den er für den größten Songwriter unserer Zeit hielt. Haggard kommentierte Dylans Worte lapidar per Tweet und schrieb: „Bob Dylan I’ve admired your songs since 1964.“

2009 tourte Dylan auch mit Willie Nelson. Mit ihm stand Dylan bereits zuvor einige Male auf der Bühne und beteiligte sich an dessen Farm Aid Projekt. Und für Willies Album Across the Borderline von 1993 schrieben Dylan und Nelson gemeinsam den Song Heartland.

Für den Soundtrack des Oscar-Erfolgs Brokeback Mountain coverte Willie Nelson 2005 He Was A Friend Of Mine. Geschrieben wurde der Song natürlich von Dylan. Nein, eigentlich nicht – obwohl das viele denken und es im Booklet des Albums so zu lesen ist.

In Wahrheit ist der Song ein Traditional, das als erstes von Fieldrecorder Alan Lomax unter dem Titel Shorty George in der Version des Afroamerikaners Smith Casey bereits 1939 festgehalten wurde. Bob Dylan nahm seine Version des Songs für sein Debüt-Album auf. Allerdings wurde diese dann nicht mit aufs Album genommen und kam so erst 1991 mit der ersten Folge der Bootleg Series heraus. Ursprünglich beanspruchte Dylan damals das Copyright – ein früher fast schon normaler Vorgang beim Veröffentlichen von Traditionals, auch in der Country-Musik. Gerade, wenn es niemandem auffällt, verdient man deutlich mehr, wenn ein Stück erfolgreich wird, wenn man die Autorenschaft besitzt. Heute hält Dylan für seine Aufnahme zumindest noch ein Copyright für das Arrangement.

Es gibt mehrere unterschiedliche Geschichten, woher Dylan den Song kannte. Eine besagt, er hätte sich bei seiner Adaption an die Version von Rolf Cahn und Eric van Schmidt angelehnt. Im Zuge des Folk-Movements der frühen 60er hätte Cahn den Titel in der Library of Congress entdeckt und zusammen mit van Schmidt dem Stück seinen heutigen Namen gegeben. Auch Dave Van Ronk nahm kurz nach Dylan den Song auf. Alle drei hätten diesem Stück in unterschiedlicher Weise ihren Stempel aufgedrückt, so Van Ronk. Also auch wenn das Stück immer mal wieder für Dylans Werk gehalten wird, ist es das nicht. Ebenso wie Dylan coverten die Country Gentelmen den Song. Für die erfolgreiche Byrds Version schrieb Roger McGuinn den Text so um, dass er auf einmal von Kennedy und seiner Ermordung handelte. McGuinn betrieb also echtes Rewriting.

Das Rewriting von Songs gehört zur amerikanischen Folk-Tradition und irritiert vielleicht etwas in der heutigen vom Copyright regierten Welt von künstlerischer Urheberschaft. Beim Rewriting nahm man sich normalerweise eine schöne passende Melodie mit einfacher Akkordfolge und schrieb einen neuen Text dazu. Manchmal verbesserte man auch einfach das bereits vorhandene Lied und tauschte Zeilen aus oder ergänzte Strophen. In der Welt der Folkmusik ist das kein Diebstahl, es ist eher ein Leihen. Es ist normal oder auch eine Art, Verehrung für eine gelungene Melodie auszudrücken.

Woody Guthrie z.B. schrieb unzählige Lieder auf diese Weise – ja selbst sein bekanntestes Stück This Land is Your Land hat eine geliehene Melodie – und auch von Hank Williams sind einige solche Stücke bekannt.

In der ersten Folge von Honky Tonk Blues habe ich mich dem alten Folk Standard John Henry gewidmet und Justin Townes Earles Rewriting dieses Songs gespielt. Auch im Kontext von klassischer Country-Musik gibt es Stücke, die sich mal mehr, mal weniger offensichtlich auf die Musik oder Texte anderer Songs stützen. Besonders offensichtlich ist das natürlich im Subgenre der Answer-Songs. Aber hier noch ein anderes schönes Beispiel:

Ihr meint, Folsom Prison Blues ist der Johnny Cash Song schlechthin? Na, dann googlet mal den Crescent City Blues von Gordon Jenkins. Cash übernahm sowohl Melodie als auch einen Großteil der Textstruktur. Ja Kids, so wurde früher gesampelt.

Songs sind manchmal wie diese russischen Matrjoschka-Figuren. Es ist immer noch ein weiterer enthalten. So bediente sich Cash auch großzügig bei Dylan, als er 1964 sein Stück Understand Your Man herausbrachte, da es musikalisch haargenau mit Dylans Don’t Think Twice. It’s All Right übereinstimmt. Lustig nur, dass auch Dylan sich seinerseits schon bei Paul Claytons Who‘s Gonna Buy You Ribbons (When I’m Gone) von 1960 bedient hatte und jener zuvor bei einem afro-amerikanischen Traditional namens Who’s Gonna Buy You Chickens, das in den 1920er Jahren in einer schriftlichen Songsammlung veröffentlicht wurde. Bei den Dylan / Cash Sessions singen beide Musiker übrigens gleichzeitig ihre jeweils eigenen Texte über diese Melodie. Das ist irgendwie rührend und bizarr zugleich.

Dylan unterzieht seine Songs selbst ebenfalls konstantem Rewriting, in dem er live gerne die Songs nicht nur musikalisch dekonstruiert, sondern auch immer wieder deren Texte verändert.

Als Dylan in seiner Nobel Lecture 2016 über seine literarischen Einflüsse spricht, erwähnt er im Zusammenhang mit Remarques Im Westen nichts Neues den Old-Time-Musiker Charlie Poole und dessen Song You Ain’t Talkin’ to Me, um dann aus dem Stück eine Strophe mit einer pointierten pazifistischen Aussage zu zitieren. Interessant ist nur, dass Poole diese Zeilen nie sang. Dieser war anders drauf. Die Zeilen stammen aus einem Rewriting des Songs eines weniger bekannten Musikers namens Jim Krause, der eigene Strophen ergänzte und Pooles Lyrics veränderte. Manche meinen, dass Dylan hier versehentlich auf das Rewriting des Songs reinfiel und tatsächlich dieses für einen Bestandteil der Poole Version hält.

Das ist natürlich am wahrscheinlichsten und entbehrt nicht einer gewissen Komik, da ihm ein solcher Fehler gerade bei seiner Vorlesung für das Nobelkomitee passierte, also im Rahmen der Verleihung des höchsten Literaturpreises überhaupt. Da ich Dylan für einen recht intelligenten und wachen Zeitgenossen halte, denke ich, dass ihm das durchaus bewusst gewesen sein mag. In seiner Welt ist das jedoch kein Widerspruch. Was nicht heißen soll, dass Dylans Anwälte nicht eifrig auf das Copyright ihres Mandanten achten würden.

Cover der Single „Things Have Changed“ von Bob Dylan, Quelle: Columbia Records

Bob Dylan hat neben dem Nobelpreis u.a. auch einen Oscar für den besten Original Song bekommen und zwar bereits 2001 für Things Have Changed. Seitdem steht dieser Oscar bei jeder Show mit auf der Bühne. Seine Bobheit ist also mächtig stolz auf diese Auszeichnung und ich halte Things Have Changed auch für ein herausragendes Stück.

Dylan verwendet es bis 2019 jahrelang als Opener seiner Shows. Es gehört damit zu den am meisten vom Meister live gespielten Stücken überhaupt. Wer allerdings von den Copyright Tantiemen nichts abbekommt, ist Marty Stuart, denn Dylan hat in alter Rewriting Tradition Martys The Observations Of A Crow von seinem Album The Pilgrim musikalisch beliehen.

Cover zu Marty Stuarts „The Pilgrim“, Quelle: MCA Nashville

Stuart erzählt dazu folgende Anekdote: Einmal habe er Dylan mit in sein Lagerhaus genommen, in dem er seine große Sammlung von Countrymusik Memorabilia verwahrt. Beiläufig sagte Dylan zu ihm: “Hey, I like that ‚Crow‘ song. I might borrow something out of that.” Natürlich völlig im Bilde über die Praktik des Rewriting in der Folktradition entgegnete Marty: “Well, I probably borrowed it from you in the first place. Go ahead.“

Als ich selbst im September 2022 bei einem Interview Stuart gegenüber bemerke, dass Dylan ja wohl ein großer Fan seines Songs sei und ob dieser ihm denn nicht vielleicht einen Songwriting Credit angeboten habe, lacht Marty laut auf. Und auch auf meine nachgeschobene, nicht ganz ernstgemeinte Frage, welchen Dylan-Song er denn im Gegenzug einem Rewriting unterzogen habe, bekräftigt er ganz ohne Groll die kolportierte Geschichte. Er und viele andere Musiker hätten wohl mehr von Dylan genommen als dieser von anderen. Wenn Dylan etwas in seinem Song gefunden habe, was ihn weitergebracht habe – wundervoll. Dylan habe ihn mehr inspiriert als dieser sich jemals vorstellen könne.

Fortsetzung folgt…

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