von Oliver Kanehl
Oliver Kanehl begibt sich anhand zahlreicher Songs auf eine Spurensuche nach den Wechselwirkungen von Countrymusik und Bob Dylans Werk – erstmals veröffentlicht im Rahmen seines Radio-Podcasts HONKY TONK BLUES aus Anlass von Bob Dylans 80. Geburtstag 2021.
Teil 1
Als die Byrds am 15. März 1968 gemeinsam mit Pedalsteeler Lloyd Green in Nashvilles Ryman Auditorium bei der Grand Ole Opry auftraten, wurden sie ausgebuht. Musiker, deren Haare die Ohren verdeckten und überm Hemdkragen hingen und somit als Hippies galten, waren für das zumeist konservative Publikum der Südstaaten-Stadt in der Zeit des Vietnam-Krieges schwer zu ertragen. Zwar war die Zeit reif, dass sich Rock und Country erneut befruchteten, aber hier war man noch nicht so weit. Doch nur wenige Jahre später würden selbst Veteranen des Golden Age of Country ihre Haare etwas voller und länger tragen und alles würde nicht mehr so heiß gegessen werden, wie es gekocht würde.
Die Byrds hatten es nicht weit gehabt, wenige Tage zuvor hatten sie hier in Music City, USA begonnen, ihr neuestes Album mit dem späteren Titel Sweetheart of the Rodeo einzuspielen. Ihr neues Bandmitglied Gram Parsons hatte sie überredet, sich etwas mehr von der Countrymusik inspirieren zu lassen. Doch für das Album und die erste Single taten sie dann auch etwas, das sie schon einige Male zuvor erfolgreich getan hatten: Sie coverten einen Bob Dylan Song. Diesmal hatten sie das Glück, ein Stück zur Verfügung zu haben, das Dylan selbst gar nicht vorhatte zu veröffentlichen.
You Ain’t Going Nowhere war ein Song, den Dylan in seiner familiären Abgeschiedenheit in Woodstock geschrieben und nur als Skizze mit den Musikern seiner Begleitband aufgenommen hatte, die wenig später selbst unter dem Namen The Band Karriere machen würden. Dylans Demo gehörte zu den mit einem einfachen Tonbandgerät gemachten Aufnahmen – unter diesen auch einige von Dylans Lieblings-Country-Songs – die später unter dem Namen The Basement Tapes fast schon mystisch verklärt werden würden, und im Keller von Bassist Rick Dankos Haus – mit Namen Big Pink – eingespielt worden waren.

(Cover zum Album der Bootleg Series Nr. 11, The Basement Tapes, Quelle: Columbia Records, SONY)
Aber Dylan war nicht nur der Songlieferant. Dylan war auch in einer anderen Hinsicht inspirierend für die Byrds. Er hatte es vorgemacht und seit Blonde On Blonde von 1966 mehrere Alben in den Columbia Studios in der Quonset Hut eingespielt, weil sein Produzent Bob Johnston es geschafft hatte, ihn mit Hilfe des Studio-Musikers Charlie McCoy vom Aufnehmen in Nashville zu überzeugen.
Weit über diese Story hinaus hat Bob Dylan schon oft bewiesen, dass ihm Country-Musik weder fremd ist noch dass er diese ablehnt. Vielmehr zeigt sich in Dylans Gesamtwerk bis zum heutigen Tag der Einfluss dieses Archetyps der amerikanischen Musik. Und genauso wie er von Country-Musik beeinflusst ist, ist das Genre auch seit den 1960er Jahren immer wieder von Dylan beeinflusst worden. Ich glaube, man kann Bob Dylans Werk nicht wirklich verstehen, ohne seine Beziehung zur Country-Musik hinreichend zu berücksichtigen. Ein guter Grund also, aus Anlass von Bob Dylans 80. Geburtstag einmal etwas genauer hinzuschauen.
So sehr in einem klassischen Country-Sound produziert wie bei Take Me as I Am (Or Let Me Go) waren seine Aufnahmen eigentlich nie. Und allein das macht Dylans Cover des Boudleaux Bryant Klassikers, der 1954 erstmals von Little Jimmy Dickens herausgebracht wurde, schon zu etwas sehr Besonderem. Entstanden ist die Aufnahme bei den Sessions zu Dylans 1970er Album Self Portrait. Auch wenn nicht jeder Song der Platte wie dieses Stück klingt, waren Sound und Songauswahl des Albums für die damaligen Dylan Fans immer noch so verstörend, dass Self Portrait bis in dieses Jahrhundert hinein immer wieder als ein sehr schwaches Bob Dylan Album galt. Allein, dass Dylan auch Songs von anderen coverte, wirkte auf sein Publikum schon fast wie Arbeitsverweigerung – und dann auch noch so poppige Country Nummern wie den Skeeter Davis Hit I Forgot More Than You’ll Ever Know. Dylan schien seinem Publikum den Mittelfinger zu zeigen: Ihr wollt immer noch Botschaften und politische Agitation? Ich gebe Euch schöne Musik.
Angedeutet hatte sich das schon 1967 auf John Wesley Harding – Dylans Comeback nach dem sogenannten Motorradunfall – als sich die Entfremdung von Künstler und Publikum fortsetzte, die ursprünglich schon damit begonnen hatte, als Dylan sich 1965 vom sich rein akustisch begleitenden Folkie – Protestsänger genannt – zum elektrischen Rocker wandelte.

(Cover des Bob Dylan Albums John Wesley Harding, 1967, Quelle: Columbia Records, SONY)
John Wesley Harding endet mit einem äußerst schlichten Liebeslied, das als Country-Schieber daherkommt und schnell auch innerhalb der Country-Musik ein äußerst beliebter Standard wurde und bis heute prominent und inflationär oft – nämlich weit über 100 Mal – gecovert wurde. Ich finde z.B. Ray Prices 1977er Version ganz hervorragend. Bemerkenswert fand man damals übrigens auch die Stimme Dylans, die auf einmal so viel klarer daherkam. Er selbst begründete die Veränderung lapidar damit, dass er nicht mehr rauchen würde.
Bob Dylan ist mit Country-Musik im Radio aufgewachsen. Samstagabend hörte er die Grand Ole Opry, Hank Williams und Hank Snow waren seine ersten Helden. In seinen wenigen Interviews der letzten 30 Jahre hat Dylan immer wieder auch über für ihn wichtige Vorbilder in der Countrymusik gesprochen. Und in seiner online Radio Show Theme Time Radio Hour, von der erimmerhin über 100 Folgen produzierte, hat Dylan sehr oft auch klassische Country-Songs von Größen wie Lefty Frizzell, Loretta Lynn oder Porter Wagoner gespielt.
Apropos Porter Wagoner: Mit einer gospelhaften Version seines Klassikers A Satisfied Mind eröffnete Dylan 1980 mitten in seiner christlichen Erweckungsphase sogar sein Album Saved. Zuvor hatte er dieses Stück auch schon bei den Kelleraufnahmen in Woodstock mit The Band gespielt.
Als Dylan 1986 in Andy Warhols Magazin Interview nach 12 der für ihn einflussreichsten Platten gefragt wird, nennt Dylan neben Rock’n’Roll– und Blues– auch einige Country-Nummern und neben Hank Williams, den Delmore Brothers, Bill Monroe, Roy Acuffs Smokey Mountain Boys auch Lady‘s Man von Hank Snow.
Dank der 1991 begonnenen Bob Dylan Bootleg Series wissen wir, was Dylan im Studio so alles anstellt. Mancher Outtake ist so gut, dass man sich wirklich fragt, warum Dylan diesen nicht regulär herausbrachte. Unter den Aufnahmen der Bootleg Series finden sich nicht selten bessere Versionen als die einst offiziell veröffentlichten, und es finden sich auch hin und wieder erstaunliche Coversongs. So coverte Bob Dylan z.B. bei den Self Portrait Sessions auf schöne, intime Weise den von Honky Tonker Eddie Noack geschriebenen Hank Snow Klassiker These Hands.
1997 sagte Bob Dylan über das amerikanische Songerbe, aus dem er schöpft:
“Those old songs are my lexicon and my prayer book. All my beliefs come out of those old songs, literally, anything from ‚Let Me Rest on That Peaceful Mountain‘ to ‚Keep on the Sunny Side.‘ You can find all my philosophy in those old songs. I believe in a God of time and space, but if people ask me about that, my impulse is to point them back toward those songs. I believe in Hank Williams singing ‚I Saw the Light.‘ I’ve seen the light, too.”
Konsequent, dass Dylan 2001 mit I Can’t Get You Off Of My Mind, Bob auf dem Hank Williams Tribute Album Timeless vertreten war.
Bob Dylan, dessen Liebe zu Hank Williams auch bei seiner Plattenfirma bekannt war, bekam 2008 die unveröffentlichten Notizbücher Hank Williams‘ überreicht. Darin fanden sich zahlreiche fertige Texte, zu denen aber jede Musik fehlte. Seine Aufgabe sollte sein, die Stücke fertig zu schreiben, so dass sie später als Album veröffentlicht werden könnten. Nach einiger Zeit strich Dylan jedoch die Segel, die Aufgabe erschien ihm für ihn allein zu groß, zu stark der Druck, dem Hillbilly Shakespeare gerecht werden zu müssen. Darauf suchte Dylan gemeinsam mit Produzentin Mary Martin nach anderen geeigneten Songwritern, die helfen könnten. U.a. Merle Haggard, Hanks Enkelin Holly Williams, Rodney Crowell, Alan Jackson und Dylans Sohn Jakob ließen sich nicht lange bitten.

(Cover des Albums The Lost Notebooks of Hank Williams von 2011, Quelle: Columbia Records, SONY)
Interessant ist auch die Geschichte, die die Plattenfirma Sony vielleicht lieber verschwiegen hätte: Dass das Projekt zustande kam, lag nicht zuletzt an einer Hausmeisterin der Firma, die die Bücher im Müll gefunden haben will und zum Verkauf anbot. Die Notizbücher waren über Hank Williams‘ Musikverlag Acuff-Rose in Sonys Besitz geraten, aber wohl nicht als das erkannt worden, was sie waren. Die Frau wurde verklagt, aber freigesprochen. So fiel jedoch glücklicherweise endlich auf, was für ein Schatz da seit langem darauf wartete, gehoben zu werden. Auf dem fertigen Album The Lost Notebooks of Hank Williams befand sich dannschließlich Bob Dylans Vertonung des Hank Williams Textes The Love That Faded.
Bob Dylans Verehrung für Jimmie Rodgers führte dazu, dass er 1996seine eigene Plattenfirma Egyptian Records gründete, um als erstes Album ein All-Star Tribute Album für den Singing Brakeman herauszubringen. Das zweite und einzig andere auf dem Label erschienene Werk war dann übrigens jenes Album mit den Lost Notebooks Aufnahmen.
Dylans gefeiertes 2020er Album Rough and Rowdy Ways spielt schon vom Titel her auf Jimmie Rodgers wunderbares My Rough and Rowdy Ways an und auf der Innenseite des Klappcovers findet sich zudem noch eine Ausschnittvergrößerung der berühmten Fotografie von Jimmie Rodgers und der Carter Family, entstanden bei ihrem Aufeinandertreffen 1931 in Louisville, Kentucky.

(Cover des Albums, The Songs of Jimmie Rodgers von 1997, Quelle: Egyptian Records, Columbia)
In den größtenteils unveröffentlichten Bromberg Sessions von 1992 coverte Dylan Jimmie Rodgers‘ Klassiker Miss The Mississippi.