„Diese Begeisterung und dieses Staunen sind ansteckend“

von Thomas Waldherr

Dylan-Experte Heinrich Detering im Interview zu „Die Philosophie des modernen Songs“

Heinrich Detering ist Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Uni Göttingen und einer der profundesten und wichtigsten Bob Dylan-Experten hierzulande. Der 63-jährige hat unter anderem das Buch „Die Stimmen aus der Unterwelt“ über Dylans-Spätwerk veröffentlicht. Thomas Waldherr hat ihn für KEY WEST zu Dylans jüngst erschienenen Sammlung von Essays, „Die Philosophie des modernen Songs“, befragt.

(Heinrich Detering, Quelle: Detering privat)

KEY WEST: Heinrich, Bob Dylans Buch ist zeitgleich in verschiedenen Sprachen erschienen. Auch Du hast Dylan schon übersetzt. Wie war das für Dich?

Heinrich Detering: Beim Versuch, Dylan zu übersetzen, stehe ich noch stärker als sonst beim Umgang mit dem Englischen vor der letztlich wohl unlösbaren Aufgabe, die unterschiedlichen Sprachebenen adäquat im Deutschen wiederzugeben, das diese Vielfalt der Nuancen von literarischer Hochsprache zu den vielen Varianten des Slang einfach nicht hat. Das war natürlich bei Tarantula und in den Beat-Gedichten so, aber es ist bei den essayistischen Texten nicht grundsätzlich anders. Und dann ist es natürlich selbst nach Jahrzehnten des Umgangs mit Dylans Texten jedenfalls einem Nicht-Amerikaner wie mir unmöglich, alle Assoziationen zu erfassen, die beim Schreiben durch Dylans Kopf gehen, von Homer über Kino bis zu TV-Familienserien und natürlich der unendlich beweglichen Enzyklopädie, die sein Song-Wissen ist. Ich finde, Conny Lösch hat das großartig hingekriegt.

KEY WEST: Wenn man dieses Buch liest, dann erinnert einen die Sprache und die Art der Darstellung unwillkürlich an seine „Theme Time Radio Hour“ oder seine „MusiCare Speech“. Wie ordnest Du dieses Buch in sein Gesamtwerk ein?

HD: Das deutlichste Vorbild für die neuen Prosagedichte und Essays ist aus meiner Sicht der Begleittext zu World Gone Wrong, nur in einem viel kleineren Format. Die Verbindung von literarischer Fiktion und Essays in diesem bunten Wechsel von Songanalyse, Anekdote und freier Reflexion findet sich dann natürlich auch im Verhältnis zwischen den Auftakt-Zweizeilern und der folgenden Moderation von TTRH, auch in Liner Notes zum Beispiel zu Jimmie Rogers. Aber World Gone Wrong ist das Modell, glaube ich.

KEY WEST: Zur Überraschung vieler ist kein Song seiner All Time-Favoriten, der Carter Family und Jimmie Rodgers oder von Neil Young enthalten. Hast Du eine Vorstellung warum Dylan diese 66 Songs ausgewählt hat bzw. warum er Songs nicht aufgenommen hat?

HD: Es geht Dylan ja von vornherein gar nicht um eine Art Rangliste oder Kanon, auch wenn immerhin einige seiner Hausheiligen dabei sind, von Little Richard bis zu Elvis, und andere gewissermaßen leitmotivisch immer wieder erwähnt werden (darunter übrigens neben Sinatra auch mehr Musikerinnen, als das Inhaltsverzeichnis erkennen lässt). Es geht ihm wohl eher um eine offene Auswahl von Songs, mit denen er für seine Zwecke etwas anfangen, an denen er etwas Bestimmtes zeigen kann. Songs, die etwas an einem bestimmen Aspekt der amerikanischen Kultur zeigen oder die ihn zu poetischen Einfällen anregen; er spielt ja auch mit allen möglichen literarischen Genres. Die Frage geht hier so an Dylans Praxis vorbei wie in jeder einzelnen Folge von TTRH oder eben an der Songauswahl von Good As I Been To You oder World Gone Wrong.

KEY WEST: Ich fand die Wahl von Pete Seegers „Big Waiste In The Deep Muddy“ überraschend und irgendwie versöhnlich. Wie schätzt Du das ein?

HD: Das ging mir genauso. Es ist beinahe, als sei Pete eine Art Platzhalter für Woody. Dylan macht hier (wie auch im Kapitel über WAR und in ein paar anderen Abschnitten) seinen Frieden mit der Linken, deren für ihn zu dogmatische Front er 1965 unter traumatischen Umständen verlassen hat – könnte man vielleicht sagen.

KEY WEST: Was sagen uns Dylans Darstellungen über seine Sicht auf das Leben, auf die Gesellschaft, auf die Menschen? Welche Haltung nimmt Bob Dylan mit 81 Jahren ein?

HD: Darauf müsste man fast mit einem Buch antworten… Jedenfalls hat mich überrascht, wie klar er politisch Position bezieht, zu den Golfkriegen zum Beispiel, oder zum Rassismus oder zu „Make America Great Again“. Er hat ja immer so panisch vermieden, in irgendeine Art von Wahlkampf einbezogen und instrumentalisiert zu werden, dass man beinahe übersehen hätte, dass er mit Jimmy Carter befreundet ist, dass er Obama als Schriftsteller (und ausdrücklich nur als Schriftsteller) bewunderte, dass er gegen die Bush-Kriege war. Und ein anderes Thema ist natürlich diese, sagen wir, Mann-Macke zwischen Hard-boiled-Fiktion und zumindest angedeuteter autobiographischer Großtuerei. Das ist manchmal witzig, wenn es Selbstironie einschließt, aber manchmal ist es auch daneben. Und natürlich ist es wunderbar, wie ernst er es offensichtlich mit dem Satz gemeint hat, die Songs seien sein Philosophie- und sein Gebetbuch. Es gibt nichts im Leben, das er nicht in einer irgendwie kondensierten, geläuterten, verwandelten Form in Songs wiederfindet; diese Begeisterung und dieses Staunen sind ansteckend.

KEY WEST: Was ist Deine Lieblingsstelle im Buch?

HD: Das wechselt. Im Augenblick der Abschnitt über „My Prayer“: „Die Platters senden von einer Station hoch oben zwischen den Sternen, wo die Dämmerung bereits eingesetzt hat.“

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