Werkführer: Dylan – die Alben der 60er (Teil III)

Teil 3 – das Duo aus Country und Americana

von Richard Limbert

John Wesley Harding

(Cover zu Bob Dylans John Wesley Harding, 1967, Quelle: Columbia Records)

Das Leben auf der fast Lane mit Drogenkonsum, Rockmusik und dem stetigen Touren in denen Dylan pausenlos gegen das Publikum spielen musste, konnte Dylan nicht lange aufrechterhalten. In einer Tour-Pause im Sommer 1966 hatte Dylan nahe seinem Haus in Woodstock einen Motorradunfall. Dylan zog sich daraufhin komplett aus dem öffentlichen Leben zurück, seine nächste Tour sollte erst acht Jahre später 1974 stattfinden. Doch dieser Rückzug tat Dylan gut. Er zog sich in sein Haus zurück, kümmerte sich um seine Kinder, wollte ein guter Ehemann sein und komponierte einfach nur noch Songs. Und hier fand Dylan sich wieder selbst. Vielleicht schon inspiriert durch Nashville für die Aufnahmen von Blonde On Blonde oder seine Freundschaft zu Johnny Cash entdeckte er das urige, ländliche Amerika für sich. Je heruntergebrochener die Musik war, desto besser. Dylan las viel in der Bibel, tauchte ein in Mystizismus, Minimalismus, in Theorien um Vergänglichkeit, Leben und Tod. Dylan nahm mit seinen Kollegen den Hawks in dieser Zeit viele folkige, minimalistische Demos auf, die in den Bootleg-Szenen herumgereicht wurden. Im Herbst 1967 ging er nach Nashville um John Wesley Harding aufzunehmen. Und sein Lebensstil spiegelt dieses Album hervorragend wieder. Das Album ist mysteriös, ländlich, folkig, Country-ig und absolut stripped down. Die Besetzung besteht zum großen Teil aus Dylan mit seiner Westerngitarre, Schlagzeug und Bass. Manchmal spielt Dylan hier auch Klavier und in den letzten beiden Titeln spielt Pete Drake noch E-Gitarre und Slide guitar. Die Texte sind nahezu biblisch, manchmal geprägt durch einen erhobenen Zeigefinger, manchmal naiv. Dylan selbst sagte 1968 zu den Texten auf dem Album: „What I’m trying to do now is not use too many words. There’s no line that you can stick your finger through, there’s no hole in any of the stanzas. There’s no blank filler. Each line has something.“ Hier führt Dylan auch den Bogen weiter von Woody Guthrie und der urigen Folk-Balladeer Tradition der USA. Der Bänkelsänger mit alten Geschichten ist jetzt im Zentrum von Dylans Schaffen. Und das alles während die Musikwelt um Dylan herum psychedelische, opulente Meisterwerke hervorbringt wie Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band der Beatles. Knapp eineinhalb Jahre Zeit ließ sich Dylan zwischen Blonde On Blonde und John Wesley Harding zur Selbstfindung. Das Album ist kein Ohrenschmaus, nicht Dylans beste Scheibe, aber ein mysteriöser, neuer Anfang aus dem sich noch viel entwickeln sollte. Dylan wird hier erwachsen. Eher etwas für Indie-Fans.

Released: Dezember 1967

Highlights:

As I Went Out One Morning

Eine narrative Geschichte wie aus dem Märchenbuch, und doch voller Rätsel und treibendem Bass. Dylan sing hier über eine Dame, die in Ketten gelegt für den Landherren Tom Paine arbeitet. Während der Erzähler durch das Feld wandert, packt sie ihn beim Arm und bittet ihm darum, mit ihr nach Süden zu fliehen. Tom Paine kommt verschwitzt angerannt und entschuldigt sich für das unmöglich Verhalten der Dame. Eine Erzählung aus Zeiten der Sklaverei? Hier merkt man schon, dass es in Richtung Americana geht.

All Along the Watchtower

Bekannt wurde der Song natürlich durch die Version von Jimi Hendrix. Doch hier bietet die minimalistische Originalversion dem Hörer eine spannende, neue Perspektive. Eine nahezu dystopische Welt wird hier beschrieben. Aus dem Wachturm heraus hat die Königsfamilie ihr stetiges Auge auf alle Bauern und andere Arbeiter der Umgebung. Karge Landschaften, pfeifende Winde und ein Dieb und Hofnarr, die sich im Vertrauten unterhalten. Zum Schluss sieht man, wie zwei Reiter sich dem Turm nähern, der Wind pfeift weiter und eine Wildkatze faucht. Dylan hat sich hier wahrscheinlich vom jüdischen Tanach inspirieren lassen in dem ähnliche Verse auftauchen. Die Karge Dystopie passt für mich auch viel besser zu kargen Akustikgitarre, als zum psychedelischen Feuerwerk Hendrix‘.

Dear Landlord

Eine Klavierballade. Hier besingt der Erzähler sein Leid, das er seinem Vermieter klagt. Er ist diplomatisch, aber spricht auch oft an, dass man ihn nicht unterschätzen darf. Ein Glitzern im Auge des kleinen Bauern. In diesem Song wird alles zwischen den Zeilen gesagt.

The Wicked Messenger

Eine durch ein bluesiges, schräges Riff getriebene Erzählung über einen verfluchten Boten mit verzauberter Zunge. Er kommuniziert mit Handzeichen und kryptischen Schriften. Zum Schluss findet er nur Ruhe in der alten Sentenz“Wenn du keine guten Neuigkeiten bringen kannst, bring gar keine Neuigkeiten.“

Nashville Skyline

(Cover von Bob Dylans Nashville Skyline, 1969, Quelle: Columbia Records)

Am Ende der 60er angekommen ist Dylan noch immer der ewig Suchende. Er lebt immer noch zurückgezogen mit Frau und Kindern in seinem Haus in Woodstock und sucht sich selbst, das alte Amerika, einen neuen Sound. Durch seinen Produzenten seit Highway 61 Revisited von 1965, Bob Johnston, ist er seit Blonde On Blonde der Country-Szene immer näher gekommen. Zu diesem Zeitpunkt war die Country-Szene ein recht abgeschlossener Musikmarkt. Bis dato sind kaum Country-Musiker überhaupt außerhalb der USA aufgetreten, die Musik wurde fast vollständig von der ländlichen, US-amerikanischen Arbeiterklasse gehört. Doch Dylan wagt im Februar 1969 den vollständigen Schritt nach Nashville und nimmt mit den großen Studiomusikern des Country dort (wieder mit seinem Produzenten Bob Johnston) Nashville Skyline auf. Dylan hat mit John Wesley Harding über ein Jahr zuvor zwar schon einen stilistischen Haken Richtung urigen Folk geschlagen, aber dieser Bob Dylan ist nicht wiederzuerkennen. Seine Songs sind typische, süße Country-Liebesballaden, die Band spielt wie in den Spelunken des tiefen Südens mit Lap-Steel Gitarre und singenden Country-Licks und Dylans Stimme ist honigsüß, schnurrend, fast nicht mehr zu Dylan zuzuordnen. Dylan hat schon ein paar Tracks gemeinsam mit Johnny Cash und seiner Band im Studio improvisiert, wovon Girl From the North Country als Opener auf dem Album landet. Mit 29 Minuten ist Nashville Skyline ein eingängiges, schönes, kurzes Album. Überhaupt nicht im Dylan-Stil und eher nichts für Fans des klassischen Protestsängers Dylan. Man sieht: In den späten 60ern, eine Phase die durch politische Unruhen andere Musiker ihrer Zeit zu musikalischen Höchstleistungen gebracht hat, Stile gefestigt hat, befindet sich Dylan, einst Galionsfigur dieser Generation noch in der Findungsphase. Eine Entscheidung die sich erst ein paar Jahre später lohnen sollte. Doch das Großwerk Dylans findet man nicht in den Jahren von Woodstock und Abbey Road.

Released: April 1969

Highlights:

I Threw It All Away

Eine wundervoll vors sich hin swingende Country-Nummer voll Herzschmerz. Doch die Harmonien sind hier alles andere als 0815. Immer neue, witzige harmonische Wendungen findet das Ohr hier, während Dylan fast schon mit Augenzwinkern singt: „Love is all there is, It makes the world go round.“ Der freundliche Wandersmann Dylan, der uns auf dem Cover sorgenfrei anlächelt wird zum Leben erweckt.

Lay Lady Lay

Diese Ballade hat eine ganz eigene, schwebende Klangwelt. Fast außerirdisch wirkt dieser Country-Sound voller Lap-Steel Gitarre, wenn in der Perkussion neben Schlagzeug noch Bongos, Kuhglocke und Stick-Geklapper zu hören ist. Durch die exotische Wahl der Begleitinstrumente wirkt dieses Liebeslied irgendwie zeitlos. Vielleicht ist dieser Song gerade deswegen so oft gecovert worden. Auch hier findet man doch mehr als nur freundlichen Country-Duktus. Ein absoluter Klassiker in Dylans Songbook.

Country Pie

Mit 1:36 Minuten ein kurzer Trip durch die bunte Swing-Welt des Country. Ein gewitzelter Country-Song mit knackiger E-Gitarre und jazzigem, funky Piano. Vielleicht ist dieser Song ein bisschen ein Gimmick aber er macht unfassbar Spaß. Man hört Dylan sein Grinsen förmlich heraus, wenn er singt „Raspberry, strawberry, lemon and lime, What do I care?, Blueberry, apple, cherry, pumpkin and plum, Call me for dinner, honey, I’ll be there.“

Tonight I’ll be Staying Here With You

Eine getragene Ballade über einen Liebhaber, der sein Zugticket sausen lässt und stattdessen heute Nacht einfach bei seiner Liebsten bleibt. Dylan säuselt schon ins Mikrophon und ein bisschen erwärmt dieser Song immer das Herz des Hörers. Wie schön die Band hier gemeinsam wie aus einem Guss zusammenklingt und Dylan ein wenig ohne störende Ecken und Kanten, voller Liebe seinen Song singt ist schon ein Höreindruck, den man bei Dylan nicht gewohnt ist. Dylan ruht in sich selbst und will einfach nur ein bisschen Spaß haben und die Welt vergessen. Das ist schön! Und vielleicht bildet das auch am besten den Geist von Nashville Skyline ab.

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