von Sean Prieske
Bob Dylan – was soll ich über diesen Mann schreiben, das nicht bereits andere geschrieben haben? Gerne würde ich ihm bloß zu seinem 80. Geburtstag gratulieren und ihm einen entspannten Tag wünschen. Doch dann kommen mir so vielfältige Assoziationen in den Sinn, dass eine einfache Gratulation wohl unzureichend wäre. Als Musikwissenschaftler, Musiker und Fan versuche ich also, etwas Ordnung in das Dylan-Universum zu bringen und gehe dabei stärker essayistisch-assoziativ vor als streng wissenschaftlich. Ich bewege mich bei diesem Versuch um Dylan herum, umkreise ihn, nähere mich ihm an und gehe wieder auf Distanz. Denn ich möchte auch die soziokulturellen Kontexte und die popkulturellen Dimensionen seines Schaffens kennenlernen, die mit dem Biographischen verknüpft sind. Diese Kontextualität ist es, die mich als Forscher besonders begeistert. Neben der Musik natürlich. So können wir am Beispiele Dylans Kenntnis von Gesellschaft, von Historie, von Musik erlangen.
Wenn Bob Dylan nun dieser Tage sein 80. Lebensjahr beendet, blickt er auf eine über 60 Jahre lange Karriere zurück. Ende 1960 trifft der junge Robert Allen Zimmerman den Entschluss, eine Karriere als Musiker anzustreben. Seine Eltern sichern ihm finanzielle Unterstützung für ein Jahr zu. Es zieht den Neunzehnjährigen in den New Yorker Stadtteil Greenwich Village. Im Frühjahr 1962 veröffentlicht er sein selbstbetiteltes Debutalbum, immerhin ein Jahr bevor irgendwelche Pilzköpfe ihren Erstling auf den Markt bringen können. Der rasante Aufstieg, der folgt, darf zurecht als eine Musterkarriere der Popmusik gelten, die in die Musikgeschichte eingeht.
Bob Dylan gehört zu den wenigen Musiker:innen, denen der etablierte Universitätsverlag Cambridge University Press ein eigenes Kompendium gewidmet hat: „The Cambridge Companion to Bob Dylan“ erscheint 2009 und zeigt, Bob Dylan ist als Forschungsgebiet sogar in der Wissenschaft angekommen.
So etabliert Dylan nicht nur die US-amerikanische Folkmusik als bedeutenden Bestandteil von Popkultur. Vielmehr entwickelt er diese weiter, verbindet sie mit Rock- und Blueseinflüssen und erfindet einen neuen Folk-Sound: immer noch im Bewusstsein einer anglo-amerikanischen Tradition wird Folk mit ihm gleichzeitig hipp und modern. Traditionsbewusstsein und Progressivität verknüpfen sich. Dass dies zum Leidwesen puristischer Folk-Traditionalist:innen geschieht, ist ebenso Kalkül wie Notwendigkeit. Die Musikgeschichte gibt Dylan letztlich recht.
Bob Dylan stellt jedoch nicht nur musikalisch seine Kreativität immer wieder unter Beweis. Wie kaum ein anderer beherrscht er das Spiel mit dem eigenen Image. Mit erstaunlicher Leichtigkeit erfindet er sich selbst stets aufs Neue. Mal blickt uns auf Platten-Covern ein nachdenkliches Gesicht in Sepia-getränkter Schwarzweißfotografie an, mal lächelt uns ein nonchalanter Hipster im pinkgemusterten Hemd entgegen, wieder ein anderes Mal driftet der Blick Dylans träumerisch in weite Ferne, umrahmt vom wohl unmöglichsten Pelzkragen der 1970er und einem Hut, der nach der Fotosession hoffentlich wieder in der Mottenkiste verschwunden ist. Diese Wandelbarkeit frönt jedoch nicht einfach einem Ständig-Neu. Vielmehr liest sie sich seit Dylans Karrierebeginn als eine Verweigerungshaltung des Musikers gegenüber Narrativen vermeintlicher Authentizität. Bereits der Gebrauch eines Künstlernamens, zu dessen Ursprung er sich selbst unterschiedlich äußert, verweist auf ein solches Spiel mit Identitäten, auch wenn Künstlernamen Ende der 1950er keine Seltenheit sind.

Diese Wandelbarkeit erlaubt Dylan das virtuose Spiel auf der popkulturellen Klaviatur der Image-Konstruktionen. Was als Image des medial distribuierten Musikers ganz im Geiste Walter Benjamins steht, ersetzt die Aura des Live-Momentes. Dieses kulminiert in der Etablierung einer musikalischen Persona Dylans, die in ihrer Nahbarkeit perfekt inszeniert ist und gleichzeitig mit den Worten Richard Kleins „so sehr die Distanz kultiviert“.
Und das ist es, was das Schreiben über Bob Dylan in den vielen seit den Sixties erschienenen Biografien oftmals so behäbig wirken lässt: die Informationen über sein Privatleben sind spärlich gesät, wohingegen sein musikalischer Output ein mittlerweile fast unüberblickbares Œuvre angehäuft hat. Natürlich gibt es da die ein oder andere Frau in seinem Leben – geschenkt! Drogen? Ja, bitte! Aber die reißerischen Geschichten aus dem Privatleben lassen sich kaum erzählen. Zu sehr ist Dylan immer wieder Künstler, Musiker, Autor.
Im Zeitalter detailversessener Hollywood-Hochglanz-Biopics à la Ray und Freddie (ja, meistens sind es Männer) mag Regisseur Todd Haynes mit seinem „I’m Not There“ dem echten Bob Dylan vielleicht näher zu kommen als die oftmals um unerreichbare Authentizität ringende Celluloid-Konkurrenz. Denn im Verzicht auf eine stringente Handlung malt der Film mit seiner Mischung aus expressiv-surrealen Bildern, biografischen Versatzstücken und dem von sechs Schauspieler:innen verkörperten Dylan ein Gesamtbild, das dem Gesamtkunstwerk Bob Dylan angemessen Tribut zollt.
Bis heute schafft es Dylan auf diese Weise mit Erwartungen zu brechen: Folk-Lyrics sollen auf einmal poetisch und politisch sein? Die Leute wollen doch seichte Unterhaltung! E-Gitarren im von vermeintlich natürlichen Klängen geprägten Folk? Ob da die Fanbase nicht zusammenbricht! Und statt sich nach fast zwanzig Jahren im Showgeschäft zurückzuziehen oder sich auf den alten Hits auszuruhen, entdeckt Bob Dylan das Christentum für sich. Während sich Michael Goldberg im New Musical Express über den spirituellen Turn des vormals freidenkerischen Protestsängers auslässt, verabschiedet dieser sich mit Gospel-Songs von den 1970ern.
Zugegeben sind die Eighties nicht das beste Jahrzehnt für Dylan. Musikalisch fehlen ein stilistischer roter Faden und kompositorische Tiefe. Private Probleme und Alkoholabhängigkeit zeichnen die öffentlichen Auftritte Dylans in dieser Zeit. Hätte das Wort „Fremdscham“ zu damals bereits existiert, es hätte auf die unbeholfenen Takes, seine vier Zeilen zum naiven „We Are the World“ beizusteuern, perfekt gepasst. Immerhin ist der nun doch alternde Musiker nicht allein mit seiner Orientierungslosigkeit im bunten Jahrzehnt der Leggins und Aerobic. Ein befreundeter Musiker erzählt mir, dass er nach schlechten Gigs den Auftritt von Bob Dylan gemeinsam mit Keith Richards und Ron Wood beim Live Aid schaut. Das orientierungslose „Blowin‘ In The Wind“ der drei inklusive Instrumentenaussätzen mag symptomatisch für ihre Ziellosigkeit zu dieser Zeit stehen.
Spätestens jedoch seit seiner Never Ending Tour, die Bob Dylan 1988 antritt, die Aufnahme in die Rock’n’Roll Hall of Fame sowie die Ehrung mit einem Grammy für sein Lebenswerk zeichnet sich bei ihm eine Kehrtwende ab. Dass ein Musiker sich seit nunmehr über dreißig Jahren permanent auf Welttournee befindet und Konzerte spielt, stellt eine seltene Ausnahme dar. Gleichzeitig bedeutet sie auch eine Rückbesinnung auf das Leben des einfachen, wandernden Folkmusikers. Umso schwerer fällt bei dieser Spielfreude und den trotz Tourstress regelmäßigen Neuveröffentlichungen eine Abgrenzung zwischen dem Privatmann Robert Zimmerman und der künstlerischen Persona Bob Dylan. Der musikbegeisterte Robert Allen scheint in seiner Kunstfigur Bob vollends aufgegangen zu sein.

Und habe ich etwas vergessen? Ach ja, Musik und Texte hat Bob Dylan auch geschaffen. Ich weiß noch, wie ich mich zu Beginn meiner gitarristischen Laufbahn mit den vier Akkorden des mittlerweile zum Gitarrenlehrbuchstück avancierten „Knockin‘ on Heaven’s Door“ abmühte. Jahre später erkenne ich die instrumentale Raffinesse des minimalistischen Albums „The Times They Are a-Changin‘“ und des Zusammenspiels von Gitarre, Gesang und Mundharmonika. Und auch wenn die Besetzungen über die Jahre größer werden, die Stile vielfältiger und die Sounds experimenteller: letztlich habe ich bei jedem Dylan-Song das Gefühl, sie sind um dieses Grundgerüst der Dylan’schen Dreifaltigkeit herumgebaut. Dabei steht besonders auch sein Kompositionsvermögen außer Frage, obwohl er selber bemerkt, dass manche Coverversionen besser gelungen seien als seine eigenen Interpretationen.
Nicht unbeachtet möchte ich zudem Bob Dylans Stimme lassen: wenngleich alles andere als Belcanto, vermag sie es, durch ihren rauhen, nasalen Klang und den ganz eigenen rezitationshaften Gesangsstil in ihren Bann zu ziehen. Und vielleicht ist das von Beginn an einer seiner Trümpfe: bereits der junge Bob Dylan klingt wie ein alter Mann, der von seiner Lebenserfahrung gezeichnet zu sein scheint und Geschichten von dieser großen, weiten Welt erzählt.
Und das Erzählerische liegt ihm dabei besonders: seine Lyrics verbinden einen großen Ernst mit pointierter Beobachtungsgabe, berühren kleine Alltagsbetrachtungen und nehmen gleichzeitig politische Dimensionen an. Und dass dies nicht nur in Musik funktioniert, beweist er in seinen Schriften und Büchern, die er veröffentlicht. Hat jemand mitbekommen, dass er 2016 für seine „poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songtradition“ den Literatur-Nobelpreis erhalten hat? Hat ihn scheinbar selber nicht so interessiert, zumindest ist er der Preisverleihung ferngeblieben und hat seinen Freudentaumel für sich behalten.
In den letzten Jahren fällt der Musiker neben Konzerten und Alben vor allem durch seine proaktive Nachlassverwaltung auf. So verkauft er zunächst sein Privatarchiv als Vorlass, im vergangenen Jahr folgen die Verlagsrechte an seinem aus mehr als 600 Titeln bestehenden Gesamtwerk. So muss er sich immerhin weniger um Bürokratie kümmern und hat den Kopf frei für seine Musik. Und wer weiß, wie lange seine Never Ending Tour noch andauert?
Mit diesem Zukunftsblick beende ich meine Reise durch das Dylan-Universum. Ich bleibe als Musikwissenschaftler, Musiker und Fan gespannt und schreibe in diesem Sinne: alles Gute zum 80. Geburtstag, Bob Dylan, ich wünsche dir einen entspannten Tag! Chapeau!
[…] Zum Geburtstag und noch viel weiter […]
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