von Thomas Waldherr
Amerika steht am Abgrund. Es gibt sie aber, die Folkmusiker, die Songs gegen die trumpistische Gefahr für Amerika schreiben. Und Bob Dylan ist ihr Urahn.
Der Sturm auf das Kapitol und die weiterhin fast bedingungslose Unterstützung Trumps durch weite Teile der Republikanern zeigen uns: Der Trumpismus als amerikanische Spielart des Faschismus ist trotz der Präsidentschaft Biden/Harris noch lange nicht besiegt. Im Gegenteil: Er ist eine ernsthafte Bedrohung für die Demokratie und für die Hoffnung auf ein sozial gerechteres, vielfältigeres und friedlicheres Amerika.

Bob Dylan hat 1963 seinen Song „With God In Our Side“ veröffentlicht. Darin stellt er die amerikanischen Selbstgewissheiten in Frage und erzählt eine andere amerikanische Geschichte, die Geschichte von Sklaverei, Bürgerkrieg, Indianerkriegen und imperialistischen Kriegen:
„Oh, the history books tell it
They tell it so well
The cavalries charged
The Indians fell
The cavalries charged
The Indians died
Oh, the country was young
With God on its side
The Spanish-American
War had its day
And the Civil War, too
Was soon laid away
And the names of the heroes
I was made to memorize
With guns in their hands
And God on their side“
Amerika war schon immer gespalten
Auch wenn Amerika für viele Menschen Hoffnungsträger einer besseren Welt war, so war es aber war immer auch gespalten. War die älteste Demokratie der Neuzeit genauso wie Sklavenhaltergesellschaft, Land der unbegrenzten Möglichkeiten für Glückssucher aus aller Welt genauso wie ein Land in den Fängen unregulierter Kapitalherrschaft. Erst Franklin D. Roosevelts Politik des New Deal hegte die Kapitalmacht ein und formte eine politisch-kulturelle Koalition aus Arbeiterschaft, migrantischen Milieus, ländlichen Südstaaten, jüdischer und afroamerikanischer Community und städtischen Intellektuellen. Die amerikanische Linke war unter Roosevelt so einflussreich wie vorher und nachher nicht. In diesem Klima gediehen Woody Guthrie und Pete Seeger, war Amerika ein wirklicher Zufluchtsort für Europäer, die vor den Nazis fliehen mussten, und für alle, die nach einem besseren Leben suchten. Es war dieses um sozialen Ausgleich ringende Amerika, das zum Kern des amerikanischen Jahrhunderts wurde. Und das Roosevelt’sche Erbe prägte in gewisser Weise auch noch die Generation von Bob Dylan und Joan Baez.

Das alte, unheimliche Amerika war immer auch gefährlich
Die Songs über das alte, unheimliche Amerika erzählen vom Streben nach Liebe und Glück, aber auch von Mord und Totschlag aus Frauenfeindlichkeit und Eifersucht. Sie erzählen von unschuldig Verfolgten, aber auch von Gesetzlosen und Totschlägern, die sich nicht von Ordnungsbehörden gängeln lassen wollen. Sie erzählen von Naturkatastrophen, aber auch von Katastrophen, die aus menschlicher Gier nach Reichtum verursacht wurden. Sie behandeln wahre Geschichten genauso wie Märchen und Mythen. Sie erzählen von Alkohol, dem Teufel und vom lieben Gott. Von Pioniergeist, Rassismus, Ausbeutung und Gewalt bei der Eroberung des Landes. Aber auch vom Kampf gegen die Mächtigen, gegen Unrecht und Verfolgung. Sie bilden ganz Amerika ab, das immer auch ein gefährliches Amerika war, weil viel zu oft schlicht das Recht des Stärkeren, das Recht des wirtschaftlich Mächtigen und das Vorrecht der Weißen herrschte.

Seit Roosevelt und Guthrie, hatte man gedacht, wäre dieses alte, gefährliche Amerika so langsam eingehegt und spätestens mit Dylan wären diese Geschichten historisiert. Er spielte sie anfangs nach, wandte sich dann seinen eigenen Songs über die aktuelle Lage seiner Zeit zu, wechselte zum Folk-Rock mit surrealen Geschichten und kam seit den Basement Tapes doch immer wieder auf sie zurück. Weil er weiß, dass in Amerika noch vieles im Dunkeln liegt. Oder, um es mit William Faulkner zu sagen: „Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen.“ Auch Dylan weiß um die ewige Spaltung Amerikas durch Sklaverei, Bürgerkrieg, Rassismus, Reichtum und Armut.
„Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen.“
So lebten die alten Vorurteile weiter, der alte Rassismus, der alte Geist der Sezession, das Recht des Stärkeren. Martin Luther King Jr. wurde 1968 in Memphis ermordet, Bobby Kennedy fiel im selben Jahr ebenfalls einem Attentat zum Opfer. Als dann mit Jimmy Carter ein Hoffnungsträger und Freund Bob Dylans zum US-Präsidenten gewählt wurde, hatten sich die Abwehrkräfte gegen den gesellschaftlichen Fortschritt längst wieder neu formiert. Carters Präsidentschaft scheiterte.
Denn gepaart mit einem evangelikalen Furor grub sich der reaktionäre Ungeist ab Ende der 1970er in die Mentalitäten der Menschen wieder verstärkt ein. Ronald Reagans Politik des Neokonservatismus – Law & Order, die Reagonomics von wirtschaftlichem Neoliberalismus und Sozialabbau, und unverhohlener Rassismus – sorgte für einen Paradigmenwechsel und brach endgültig mit den Traditionen des New Deal. Die tiefe soziale und gesellschaftliche Spaltung nahm nun wieder ihren Lauf und erreicht heute ungeahnte Dimensionen.
Der schwere Fehler von Clinton und später Obama war es, dies nicht als eine Episode anzusehen und wieder zurückzudrehen, sondern sich mit den Reagan’schen Veränderungen weitgehend abzufinden. Obama lobte sogar Reagans Appelle an die Eigenverantwortlichkeit der US-Bürger. Die aber nichts anderes waren, als Reagans Maskerade für den Sozialabbau, der gerade die Afroamerikaner traf.
Der Geist aus der Flasche und der Folksong
So kam das alte unselige alte Denken in den Zeiten der Finanzkrise und dem ersten schwarzen Präsidenten wie der Geist aus der Flasche stärker denn je zurück. Viele einfache weiße Leute verbanden Obama aufgrund dessen verfehlter Politik in der Finanzkrise mit dem Verlust ihres Häuschens. Rassismus, desparater, unreflektierter Sozialprotest und die übliche ablehnende Haltung zur Bundesregierung und zum „Washingtoner Establishment“ führten zur Tea Party-Bewegung und veränderten die Partei der Republikaner deutlich. Und dies machte einen Trump erst möglich. Und der nutzte die sozialen Medien und schürte Hass und Verschwörungstheorien.
Das Ergebnis sehen wir heute: Den Sturm auf das Kapitol und die Angst vor dem Faschismus Trump’scher Spielart. Der auch gar keinen Donald Trump benötigt. Der mit einem klügeren Kopf an der Spitze wahrscheinlich noch gefährlicher wäre.
So sehr ich Bob Dylan für sein Spätwerk schätze, gerade würde ich mir wünschen, der junge Bob Dylan würde sich vom Sturm aufs Kapitol zu einem seiner bitterbös-humorigen, scharfsinnig-beobachtenden und anklägerischen Folksongs inspirieren lassen. Ein Song ganz mit den Zutaten des „John Birch Society Blues“, von „Oxford Town“, von „Who Killed Davey Moore“ und „Only A Pawn In Their Game“.

Die Wahlbetrugslüge, der Sturm auf das Kapitol und die Bedrohung von andersdenkenden Republikanern: Es herrscht eine Brutalität der selbst ernannten Patrioten, wie sie bei den Mördern von Hattie Caroll und Emmett Till zu sehen war. Sie wird zur gesamtgesellschaftlichen Gefahr, wenn sie eine breite positive Resonanz erfährt.
Bob Dylan hat vieles schon beschrieben und einiges vorweggenommen
Die geschieht heute auf Trumps Kundgebungen, in speziellen TV-Formaten und natürlich vor allem im Internet. Auch wenn diese Medien heute als Verstärker wirken: Auch hier trifft es wieder zu, was Bob Dylan in späteren Jahren zu seinen frühen antirassistischen und gesellschaftskritischen Songs gesagt hat: Die Mechanismen sind immer noch die Gleichen, nur die Namen müssen ausgetauscht werden.
Und daher wird ein Bob Dylan heutzutage auch keinen neuen Folksong dieser Art schreiben. Und er muss es eigentlich auch nicht. Seine frühen Protestsongs waren die Offenlegung der Mechanismen einer kapitalistischen und rassistischen Gesellschaft. Sein lyrisches und dramatisches „Murder Most Foul“ über den Kennedy Mord war bereits der Abgesang auf die alte amerikanische Herrlichkeit im 20. Jahrhundert. Sein Film „Masked and Anonymous“ war bereits die Dystopie einer dynastischen Diktatur in Amerika wie die Trumps sie wollen. Er hat den Boden bereitet für die Lieder gegen die drohende böse amerikanische Zeitenwende.

The Avett Brothers, Jason Isbell, Ondara oder Iris DeMent singen heute die konkreten, aktuellen Songs über die Menschen und das heutige Amerika. Jason Isbell singt die Songs über die Perspektivlosen und Abgehängten in den armen Südstaaten. „We Americans“ von Avett Brothers ist das „With God On Our Side“ unserer Tage. „Going down to play in Texas“ von Iris DeMent lenkt den geschärften Blick auf die Phänomene und Mechanismen des Trump’schen Amerika. Amerika scheint heute ferner von Freiheit, Gerechtigkeit und Glück zu sein denn je. Eine bizarre soziale Ungleichkeit und Perspektiv- und Bildungslosigkeit führt zum Sieg von Aberglauben, Bigotterie und Verschwörungstheorien. Ein Staatswesen, das sich in vierzig Jahren Neoliberalismus komplett entkernt hat, und dessen Gesellschaft gerade am Implodieren ist, ist im Würgegriff von ökonomisch mächtigen politischen Hasardeuren und Egomanen und deren paramilitärischen Fußtruppen.

Worauf es jetzt ankommt, ist nicht das wohlige Gefühl „Onkel Joe wird’s schon richten“, sondern in Amerika hellwach zu bleiben und die Ursachen der Misere, den ungezügelten Kapitalismus zu benennen und unter Kontrolle zu bekommen. Und die Menschen nicht wieder abzustempeln wie das Hillary Clinton gemacht hat. Hier hat Steve Earle mit seinem Album „The Ghosts Of West Virginia“ einen wichtigen Brückenschlag geliefert. Derselbe Landstrich, in dem die entschiedensten Schlachten für die amerikanische Arbeiterbewegung gewonnen wurden, ist heute die Heimstatt der Trumpisten. Das darf nicht so bleiben.
Es braucht mehr Steve Earles, Jason Isbells oder Iris DeMents, um das Heute konkret zu erklären und zu besingen. Ihre Lieder gehören zum Soundtrack einer progressiven politisch-sozialen Bewegung in den USA von heute. Genauso wie die entsprechenden Stücke aus Rap und Pop. Doch die alten Songs von Bob Dylan gehören auch dazu. Denn sie stimmen leider immer noch.
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Alles gute Musiker. Aber zumeist besser als die entsprechenden Politiker der Demokraten, die genauso korrupt sind wie die der Gegenseite.
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