Bob Dylans Werk und Wirken ist vielfältig verflochten mit der afroamerikanischen Community und ihrer Kultur.
von Thomas Waldherr
Amerika ist nicht zu verstehen, ohne die wichtige Rolle der Populärkultur, die sich wiederum grundlegend aus den vielfältigen Formen der Migration in dieses große Land speist. Und in dieser Populärkultur ist es wiederum die Musik, die zur Ausdrucksform der Vielfalt der Menschen geworden ist. Bob Dylan ist mit seinem Werk so etwas wie ein Schmelztiegel dieser Musik, und daher ein lohnendes Forschungsobjekt für gesellschaftspolitisch ausgerichteten Musikjournalismus.
Vor einigen Jahren habe ich mein erstes Dylan-Buch geschrieben: „I’m in a Cowboy Band“. Es beschäftigte sich mit dem Verhältnis von Bob Dylan zur Countrymusik, die ja vordergründig gesellschaftspolitisch konservativ verortet ist. Wer aber über Americana, Folk, Rock und Country spricht, der darf die großen und wichtigen afroamerikanischen Beiträge zu dieser Kultur nicht verschweigen. Diese Erkenntnis ist mir wichtig und gilt auch für meinen Lieblingsmusiker Bob Dylan, dem ich mich nun schon seit weit mehr als 40 Jahren verschrieben habe.

Im Zuge des erneuten Folk Revivals in den USA Anfang der 2000er Jahre – u.a. auch beeinflusst durch den Film-Soundtrack von „O Brother Where Art Thou?“ beschäftigten sich die „Carolina Chocolate Drops“, mit Rhiannon Giddens und Dom Flemons, ab 2005 mit der afroamerikanischen Old Time, Folk- und Bluegrassmusik. Sie rückten damit die afroamerikanischen Wurzeln von Folk- und Countrymusik wieder ins Blickfeld. In zwei Artikeln in der deutschen Musikzeitschrift Folker und einigen Veröffentlichungen auf www.country.de und meinem Cowboy Band Blog habe ich mich unter historischen und aktuellen Gesichtspunkten mit dem Thema befasst.
Auch Bob Dylans Werk und Wirken ist ohne die afroamerikanischen Einflüsse nicht denkbar. Das ist für Musiker seiner Generation nun per se nichts Ungewöhnliches. Man denke da nur an die Rolling Stones, Eric Burdon, Van Morrison oder Eric Clapton. Bob Dylan jedoch ist seine ganze Karriere über in vielfältiger Weise künstlerisch, gesellschaftlich, politisch, spirituell und ganz menschlich konkret mit der Black Community Amerikas verbunden. Der weiße, jüdische Junge, der die Folk-, Blues-, Rock- und Countrymusik als seine künstlerische Ausdrucksweise entdeckte, hat auch enge Beziehungen zu Gospel, Soul, HipHop und deren künstlerischen Protagonisten entwickelt. Er ist als jüdischer Junge in Minnesota aufgewachsen und hat seit frühester Jugend keine Berührungsängste mit schwarzen Menschen gezeigt. Erst war Little Richard sein musikalisches Vorbild, dann war es die schwarze Folkmusikerin Odetta, die ihn so beeindruckte, dass er vom Rock’n’Roll zum Folk wechselte.
An der Seite der Bürgerrechtsbewegung
Dylan hat seine ganze Karriere über Blues gespielt und ist somit – ohne dieses Label direkt zu tragen – im Grunde einer der wichtigsten und einflussreichsten weißen Bluesmusiker überhaupt. Zudem ist er schon in jungen Jahren ein Bewunderer der Gospel Music der Staple Singers gewesen, mit Mavis Staples war er eine Zeit lang liiert, seinen Heiratsantrag in jungen Jahren lehnte sie ab. Er hatte seine ersten Auftritte in New York im Vorprogramm von John Lee Hooker. Er reiste im Juli 1963 mit Pete Seeger und Theodore Bikel in den Süden, um die Bürgerrechtsbewegung zu unterstützen und er spielte mit Joan Baez bei „March to Washington“ im August 1963, bei dem Martin Luther King seine berühmte Rede „I have a dream“ hielt.

Bedeutende afroamerikanische Künstler wie Stevie Wonder Solomon Burke oder Marion Williams haben seine Lieder gesungen. Er schätzte Nina Simone und Etta James und wurde von ihnen geschätzt. Er hat Sam Cooke beeinflusst und ihn, das Apollo Theatre und Little Richard geehrt. Und er hat für Präsident Barack Obama im Weißen Haus gespielt und wurde von ihm mit der „Presidental Medal Of Freedom“, der ranghöchsten zivilen Ehrung der Vereinigten Staaten, ausgezeichnet. Er, der sich immer zu den Underdogs hingezogen fühlte – „I was born on the wrong side of the railroad track“, singt er in „Key West“ vom Album „Rough And Rowdy Ways“, da wo die Schwarzen, die Armen und die Außenseiter wohnen – hat einen ganz selbstverständlichen und vielfältigen Umgang mit afroamerikanischen Menschen gepflegt.
Dylan entdeckt den Gospel für sich
Eine tiefere, systematische Beschäftigung mit der schwarzen Musik jenseits vom Blues jedoch begann für Dylan dann mit seiner Welt-Tournee 1978 und den darauf folgenden „Born Again“-Jahren. „Street Legal“ war schon gekennzeichnet durch Soul- Rhythm & Blues sowie Gospel-Elementen, und es wurde erstmals bei Dylan ein Background-Chor schwarzer Sängerinnen eingeführt. Verstärkt wurde das dann durch seinen Übertritt zum Christentum. Denn Bob spielte fortan einen auf den schwarzen Wurzeln fußenden Gospel-Rock, keinen weißen Country-Gospel. Und es war die schwarze Schauspielerin Mary Alice Artes, die ihn bei seiner Konvertierung zum Christentum unterstützte.
Dylan verband übrigens mit einigen seiner schwarzen Backgroundsängerinnen mehr als nur die Musik. So war er eine Zeit lang mit Clydie King liiert – es gibt ein wunderschönes Video der beiden, wie sie Abraham, Martin & John singen und die tiefe Zuneigung überhaupt nicht zu übersehen ist. Und mit Carolyn Dennis war er dann Mitte der 1980er verheiratet und hat mit ihr auch ein Kind.

Dylan spielt Soul und Jazz und rappt sogar
Bis in die frühen 1990er Jahre spürt man in seiner Musik den Einfluss von Rhythm & Blues, Soul und Gospel. Insbesondere sein 1985er Album „Empire Burlesque“ atmet – unabhängig von den bekannten Qualitätsproblemen bei Songs und Produktion – viel Soul und Funk. 1986 nimmt er zur Verblüffung vieler bis heute einen Song zusammen mit dem Rapper Kurtis Blow auf. Was von vielen als künstlerische Desorientierung Dylans in den 1980ern angesehen wird, ist meiner Meinung nach ein Zeugnis für die Hochachtung Dylans vor der schwarzen Musik in all ihren Ausprägungen. 1986 und 1987 tritt er zusammen mit den Queens Of Rhythm als Background-Sängerinnen auf, Gospel-Einflüsse halten sich weiterhin in seiner Musik. Auf seinen beiden akustischen Folk-Alben von 1992 und 1993 mit denen er wieder musikalisch zu sich selbst findet, adaptiert u.a. Stücke von Mississippi John Hurt und den Mississippi Sheiks.
Bis heute sind all diese Einflüsse – Blues, Soul, Funk, Rythm & Blues – in seiner Musik vorhanden. Sogar Ausflüge in den Jazz gibt es zu notieren. In der Reihe „The Jazz at Lincoln Center Galas“ hat Dylan mit dem Winston Marsalis Septet „It Take A Lot To Laugh, It Takes A Train To Cry gesungen und dabei Mundharmonika spielt und sogar eine verjazzte Version von Don’t Think Twice“ zum Besten gegeben.
Und wenn man sich heute seine Konzerte anhört, dann hat „Blowin‘ In The Wind“ mittlerweile einen starken Gospel-Soul-Touch. Eine wunderschöne Live-Version gibt es von ihm und der Gospelgruppe The McCrary Sisters – mit dabei seine ehemalige Backgroundsängerin Regina McCrary (ehemals Havis) – aus dem Jahr 2013.
Bob Dylans afroamerikanische Rezeption
Ich habe hier dargestellt, wie vielfältig und tief die Beziehungen von Bob Dylan zur Black Community waren und sind. Da ist es sinnvoll und notwendig, auch einmal grundlegender auf die Rezeption Bob Dylans in der Black Community einzugehen.
Als Stevie Wonder beim großen Konzert zu Dylans Plattenjubiläum 1992 im New Yorker Madison Square Garden „Blowin In The Wind“ sang, sprach er in seinen einleitenden Worten über die Bedeutung des Songs u.a. für die Bürgerrechtsbewegung in den USA und für den Kampf gegen die Apartheid in Südafrika. Wonder hatte seine Version von „Blowin In The Wind“ 1966 veröffentlicht, die auf Nr. 1 in den Billboard Hot Rhythm and Blues Singles Charts schnellte. Dylan hatte einen Song geschrieben, der zur Hymne des Kampfs der Schwarzen um Freiheit und Bürgerrechte wurde. Und das nicht nur, weil die Melodie auf dem alten schwarzen Gospel-Song „No More Auction Block“ fußte, sondern weil der Text Unfreiheit und Gewalt problematisierte und damit für die Schwarzen für ihren Freiheitskampf adaptierbar war.
Dylan steht hoch im Kurs bei afroamerikanischen Musikerinnen und Musikern
So wie Wonder haben viele schwarze Amerikanerinnen und Amerikaner die Songs des weißen Singer-Songwriters gesungen. Odetta hat 1965 eines der ersten Alben mit Coverversionen von Dylan überhaupt veröffentlicht. Es war das erste Dylan-Cover-Album einer schwarzen Amerikanerin. Das war insofern kein Wunder, da sie ebenfalls zur Folk-Bewegung gehörte. Doch über die Jahrzehnte haben auch viele weiter afroamerikanische Künstlerinnen und Künstler aus den unterschiedlichsten Genres Dylans Musik für sich entdeckt.
Bereits 1964 veröffentlichte der Soulstar Sam Cooke auf seinem Album „Sam Cooke at the Copa“ eine Version von „Blowin‘ In The Wind“ und ließ sich dadurch zu seinem Klassiker „A Change Is Gonna Come“ inspirieren. Solomon Burke coverte „Maggies Farm“ bereits 1965 und wurde damit zum ersten R&B-Künstler, der Dylans Songs sang. Und auch in späten Jahren coverte er Dylan-Songs wie „What Good Am I?“ im Jahr 2005. Jimie Hendrix spielte eine Version von „All Allong The Watchtower“, die Dylan besser fand als seine eigene. Nina Simone, die mit „Mississippi Goddamn“ und anderen Stücken schonungslose Kritik am herrschenden Rassismus übte, nahm eine ganze Reihe von Dylan-Songs in ihr Repertoire auf, wie beispielsweise „I Shall Be Realeased“ oder „Just Like A Woman“. Dass Dylans Songs aufgrund ihrer Themen und Metaphorik auch als Gospel funktionieren, zeigte neben den Staple Singers bereits 1969, und damit 10 Jahre vor Dylans Christianisierung, das Projekt „Dylan’s Gospel von „The Brothers & Sisters“, bei dem auch seine spätere (Gesangs)-Partnerin Clydie King mitwirkte.
Soulmusiker Booker T. Jones nahm 1978 „Knockin‘ On Heaven’s Door“ auf und „The O’Jays“ 1990 „Emotionally Yours“. Und bis heute gibt es immer wieder schwarze Künstlerinnen und Künstler, die Dylan-Songs aufnehmen. Guy Davis, der Sohn von Ossie Davis, spielte 2009 „Sweetheart Like You“ ein. Die Soulsängerin Betty LaVette veröffentlichte 2018 mit „Things Have Changed“ sogar ein ganzes Album mit Dylan-Songs. Sie eignete sich die Songs an, so dass sie zu ihren eigenen Statements wurden. Neben der Klasse LaVettes beweist dies einmal mehr sowohl das Universelle, als auch die Güte von Dylans Songs. Das weiß auch die Hip Hop-Szene, immer wieder wird Dylans Musik in ihren Stücken gesampelt. Ob Cypress Hill, Beastie Boys oder Kid Cudi. Von der Affinität von Dylan zum Rap war ja hier schon anderer Stelle die Rede.
Kaum ein weißer Songwriter-Kollege von Bob Dylan hat solch einen Stand in der schwarzen Music Community wie der Songpoet aus Minnesota. Dass seine frühen antirassistischen Songs bei Gruppen wie den Staple Singers oder den Freedom Singers, die gleichzeitig auch Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung waren, hoch im Kurs standen, ist einleuchtend. Aber es war noch mehr. Dylans Poesie und Sprache, seine Bilder, seine rebellische Haltung, sein Gesang, sein Slang – all das schien von Jemandem zu kommen, dem man vertrauen konnte. Man konnte sich auch als Schwarzer in Dylans Songs wiederfinden.
Afroamerikanische literarische Einflüsse auf Bob Dylan
Mehr noch, man konnte spüren, welch enormen Einfluss die schwarze Kultur – und die war immer mehr als das einfache Bluesklischee, dem ja viele Weiße aus Dylans Generation anhingen – auf ihn hatte. Der Literaturdozent Tim Atkins hat herausgearbeitet, wie sehr Bob Dylans Lyrik u.a. auch von Langston Hughes, dem Schlüsselpoeten der 1920er „Harlem Renaissance“ beeinflusst ist und vergleicht ein Gedicht von Hughes mit Dylan „Subterranean Homesick Blues“ (siehe: Five extraordinary poems that inspired Bob Dylan).
Ein anderer schwarzer Poet, der Bob Dylan beeinflusst hat, war Big Brown. Der trat Anfang der 1960er Jahre im Washington Square Park auf und Dylan sah ihn dort: „Alle diese Schwarzen kamen aus dem Süden der Grenze und rezitierten Gedichte im Park. Jetzt würden sie sie Rapper nennen. Der Beste war ein Typ namens Big Brown, der lange Gedichte hatte, jedes war ungefähr 15 Minuten lang, und es waren lange, langwierige Geschichten über böse Männer, Romantik, Politik, fast alles, was man sich vorstellen kann, kam in seinen Sachen vor. Ich dachte immer das war die beste Poesie, die ich je gehört habe.“ Und Dylan empfand ihn sogar als Vorläufer des Rap: „“Nichts ist neu…Sogar Rap-Platten. Ich liebe dieses Zeug, aber es ist nicht neu, du hast das Zeug die ganze Zeit gehört … da war dieser eine Typ, Big Brown, er trug eine Gefängnisdecke, das ist alles, was er jemals getragen hat, Sommer und Winter John Hammond würde sich auch an ihn erinnern – er war wie Othello, er rezitierte Epen wie ein großartiger römischer Redner, aber wirklich Backwater-Zeug, Stagger Lee, Cocaine Smitty, Hattiesburg Hattie. Wo waren die Plattenfirmen, als er da war?“

Wertschätzung von „Black America“
Dieses tiefe, mit Neugier und Wertschätzung angereicherte Verständnis für die afroamerikanische Kultur und seinen ganz selbstverständlichen Umgang mit schwarzen Menschen wurde von der Black Community entsprechend goutiert. Ganz selbstverständlich wurde er in ihrer Mitte aufgenommen. Die große afroamerikanische Schriftstellerin, Gelehrte und Bürgerrechtlerin Maya Angelou brachte das – ebenso wie Dylans Bedeutung als Ausdruck des vielfältigen Amerikas überhaupt – anlässlich seines 70. Geburtstages im Jahr 2011 wie folgt zum Ausdruck:
„Die Wahrheit ist, Bob Dylan ist ein großartiger amerikanischer Künstler. Seine Kunst, sein Talent ist es, zu allen zu sprechen, und wenn ich Amerikaner sage, denke ich, dass er ein großer afroamerikanischer Künstler ist, er ist ein großartiger jüdisch-amerikanischer Künstler, er ist ein großer muslimisch-amerikanischer Künstler, er ist ein großer asiatisch-amerikanischer Künstler, Spanisch sprechender Künstler – er spricht genauso für die amerikanische Seele wie Ray Charles. Es gab eine Zeit, in der Bob Dylan der neue Junge im Viertel war. Wir haben alle im Purple Onion und im Hungry I sowie in Volksmusikclubs gesungen. Als Bob kam, liebten ihn alle, weil er das war, was wir alle beabsichtigt hatten; Er sprach für uns alle. Und er war dafür bekannt, ehrlich zu sein, wie ein großer amerikanischer Künstler zu sein hat. Es mag nicht zweckmäßig sein, aber das Publikum kann dem Künstler vertrauen, der ehrlich ist, und Bob Dylan folgte dem, was er in seinen Texten sagte, durch seine Handlungen. Er unterstützte den Menschen, den Geist, Amerikaner zu sein – zu wissen, dass die Berge, die Bäche und die Wahlkabinen uns allen zu jeder Zeit gehören.“

Auch Harry Belafonte äußerte sich zu diesem Anlass wertschätzend über Dylan: „Bob Dylan hat den Geist von Millionen von Menschen auf der Welt bereichert. Er hat eine große Anzahl von Künstlern inspiriert und diejenigen von uns, die ihn getroffen haben, dazu gebracht, durch die Begegnung belohnt zu werden. Ich bewundere ihn, ich respektiere ihn, es ist mir eine Ehre, diesen Moment zu haben, um meine tiefe Wertschätzung dafür auszudrücken, wer und was er ist.“
Bob Dylan ist bis heute in Amerika ein kultureller Brückenbauer zwischen Schwarz und Weiß geblieben. Auch das ist eine Qualität für sich im heutigen Amerika.
Thomas Waldherrs Buch „Bob Dylan & Black America“ erscheint im Frühjahr im Hamburger Tredition-Verlag.
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