Wie Dave van Ronk von Bob Dylan beeinflusst wurde

von Richard Limbert

Ein Netzwerk ist durchaus ein sehr komplexes Gebilde. Die Grenzen sind hier nicht stark gezogen und auch Hierarchien lassen sich nicht immer klar ausmachen. Dave van Ronk zum Beispiel habe ich bislang in meinen Texten immer wieder als Art leitende Figur im Folk-Netzwerk von Greenwich Village in den 50er bis 90er Jahren beschrieben. Aber was heißt das genau? Es ist bei einem Schüler-Lehrer-Verhältnis klar, wer wer ist. Der eine lehrt, der andere lernt. Aber bei Netzwerken ist das kaum zu umreißen. Deshalb ist mein Blick in diesem Text ein etwas unorthodoxer: normalerweise spricht man bei der Beziehung Bob Dylan-Dave van Ronk immer davon, wie van Ronk den jungen Dylan unter seine Flügel genommen und beeinflusst hat. Aber der umgekehrte Weg ist sicher genau so spannend. Zwei große Folk-Musiker haben sich über Jahrzehnte gegenseitig beeinflusst und eine Wertschätzung ist dabei auf beiden Seiten zu spüren. Wie blickte Dave van Ronk also Zeit seines Lebens musikalisch auf Bob Dylan?

Van Ronk und Dylan: auf den ersten Blick ein ungleiches Paar

Bob Dylan war einige Jahre jünger als Dave van Ronk. Es waren zwar nur knapp 5 Jahre, in seinen frühen 20ern ist das aber eine ganze Menge. Dave van Ronk ist ein richtiger New Yorker. Aus Brooklyn heraus ist er im Laufe der frühen 50er Jahre immer mal wieder nach Greenwich Village gefahren und hat spätestens Mitte der 50er dort dann auch gelebt. Seine Karriere als Musiker war zwar noch nicht auf einem Profi-Level (er musste sich noch mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten, hat bei Freunden auf der Couch geschlafen und war hin und wieder bei der Handelsmarine), er war aber schon gewissermaßen ein gemachter Mann als Bob Dylan schließlich im Winter 1960/1961 nach Greenwich Village kommt. Dylan hat ab September 1959 an der Universität von Minnesota studiert. Da war er allerdings nur ein halbes Jahr und im Mai 1960 war er schon unterwegs durch die USA um schließlich in New York aufzutauchen, wo er Woody Guthrie am Krankenbett besuchen wollte. Dave van Ronk hat seine ersten Studioaufnahmen 1958 gemacht und sein erstes Album 1959 herausgebracht. Und das auf dem prestigeträchtigen Label Folkways. Er hat, als in der zweiten Hälfte der 50er Jahre die ersten Clubs für Folk-Musiker öffneten, schnell eine Reputation als fähiger Folk- und Jazz-Musiker im Viertel gehabt. Als Bob Dylan die Szene betrat traf er auf einen Dave van Ronk, der mit der Handelsmarine bereits auf hoher See war und wieder zurückkam. Einen Dave van Ronk, der da seit einigen Jahren schon für das Folk-Magazin Caravan geschrieben und als Türsteher im legendären Gaslight Café gearbeitet hat. Kurz: Van Ronks Karriere war beinahe schon halb um als Bob Dylan auf den Platz trat.

Die ersten Treffen der beiden waren schon durch einen gegenseitigen Respekt geprägt. Der nicht einmal 20-jährige Bob Dylan ist auf jeden Fall wie vom Donner gerührt, als er van Ronk zum ersten mal in einem Gitarrenladen in Greenwich Village sieht. In seinem Buch Chronicles schreibt er darüber:

Van Ronk worked at the Gaslight, a cryptic club — …

Van Ronk played there. I’d heard Van Ronk back in the Midwest on records and thought he was pretty great, copied some of his recordings phrase for phrase. He was passionate and stinging, sang like a soldier of fortune and sounded like he paid the price. Van Ronk could howl and whisper, turn blues into ballads and ballads into blues. I loved his style. He was what the city was all about. In Greenwich Village, Van Ronk was king of the street, he reigned supreme.

[…]

One winter day a big burly guy stepped in off the street. He looked like he’d come from the Russian embassy, shook the snow off his coat sleeves, took off his gloves and put them on the counter, asked to see a Gibson guitar that was hanging up on the brick wall. It was Dave Van Ronk. He was gruff, a mass of bristling hair, don’t give a damn attitude, a confident hunter. My mind went into a rush. There was nothing between the man and me.

Dylan kriegt so seinen ersten Gig im Gaslight. Er spricht den Mayor of MacDougal Street, wie er genannt wird, trotz Nervosität einfach an.

Auf der anderen Seite war van Ronk keiner, der den etwas tollpatschigen, dürren jungen Bob Dylan sofort veralberte. Gut, als er ihn das erste mal im Café Wha? Bei einem Auftritt sah, fragte er im Spaße seine Freunde „Wo hat der denn Mundharmonika spielen gelernt? Auf dem Mars?“ und beschrieb Dylans ersten Handschlag wie einen „nassen Fisch“. Aber er war laut eigenen Aussagen auch sofort begeistert von Dylans Talent. Vor allem das Chaplin-esque, Slapstick-hafte im Auftreten des jungen Musikers ist ihm im Gedächtnis geblieben. Schnell wurde für van Ronk auch klar: hier haben wir einen tollen Songwriter vor uns. Bald freundeten beide sich an und Dylan übernachtete so manches mal bei van Ronk und seiner damaligen Frau Terri Thal zu Hause. In dieser Zeit übernahm Dylan einige Stücke aus dem Repertoire van Ronks. Fast schon anekdotisch ist heute seine geborgte van Ronk-Version von House of the Rising Sun. Dabei hat Dylan auch Poor Lazarus und He Was A Friend of Mine wahrscheinlich von van Ronk, genauso wie Rocks and Gravel. Recht sicher auch den Cocaine Blues, wenn er ihn nicht direkt von Reverend Gary Davis übernommen hat. Sein Two Trains Running klingt stimmlich sogar fast exakt wie van Ronk. Zumindest hatten beide für eine Zeit ein recht überlappendes Repertoire.

Es begann als Wette: If I Had To Do It All Over Again I’d Do It All Over You

Die Inspiration ging aber auch in die andere Richtung. Es war irgendwann Anfang der 60er Jahre als Dave van Ronk zusammen mit Bob Dylan und einigen anderen im Kettle of Fish herumsaß (der Kneipe über dem Gaslight Café). Auf einmal kam ein Typ an den Tisch, knallte einen 20$-Schein auf den Tisch und sagte „DU bist also dieser tolle Songwriter, ja? Na gut. Ich wette, du kannst keinen Song schreiben mit dem Titel If I Had to Do It All Over Again, I’d Do It All Over You.“ Das war natürlich nur ein Spaß, aber Dylan nahm die Wette an. Er schrieb diesen Song, der manchmal auch All Over You genannt wird. Es wurde ein grandioser Ragtime-Song voller Witz und kleinen Kabarett-artigen Einlagen. Für mich einer der besten Titel, die Bob Dylan je geschrieben hat. Dave van Ronk sah das ähnlich, er nahm den Song für sein nächstes Album In the Tradition (1963) auf. Als einer der ersten überhaupt coverte er einen Bob Dylan Song auf einem Album. Und bei dieser Version merkt man, dass van Ronk eigentlich Old-Time Jazz-Musiker werden wollte. Die Red Onion Jazz-Band als Begleitung spielt für New Yorker Verhältnisse der frühen 60er einen guten New Orleans-Jazz im Stil der 20er und 30er Jahre. Van Ronk bellt hier in Kabarett-Manier den Text ins Mikrofon. Wenn man es nicht besser wüsste, man käme nicht darauf, dass das hier ein Dylan-Song ist. Und ganz besonders toll: einen ganz ganz kleinen Auftritt hat der Titel auch im James Mangold Dylan-Biopic A Complete Unknown. In der van Ronk-Biographie The Mayor of MacDougal Street beschreibt van Ronk, wie er im Studio den Text komplett ablesen musste, weil er ihn sich einfach nicht merken konnte und die Musiker erst einmal etwas rätselnd auf die Akkordblätter schauten. Na, Dylan hat es eben so geschrieben. Für van Ronk war das auf jeden Fall ein passender Griff. Das Old Time-Jazz-Feeling passt hervorragend in seinen Musikfokus und er war bei der Geburt des Songs schließlich auch persönlich anwesend.

In den 70ern kommt die Retrospektive: Song to Woody

Als um 1970 herum klar wurde, dass van Ronk kein nächster Superstar werden sollte, begann er mehr zu trinken, zu essen und sich zurückzuziehen. Schon Ende der 60er zeigte sich seine Rock-Band The Hudson Dusters als kommerzieller Reinfall. Lange hielt die Band nicht zusammen. In dieser Zeit begann klar zu werden, dass Folkmusiker zu Singer/Songwriter werden mussten, wenn sie auf dem Musikmarkt überleben wollten. Van Ronk hat nur eine handvoll Songs in seinem Leben geschrieben. Die meisten aber ab ca. 1970. Einer seiner ersten Songs war der Gaslight Rag, indem er in Beat-manier das verlotterte Gaslight Café besingt. Im Text ist das Gaslight irgendwann dann sauber, frei von Ratten und Dylan plays Bach. Man könnte auch sagen: das Gaslight wird grundgereinigt wenn die Hölle zufriert.

Die Songs von Bob haben Dave offensichtlich imponiert. Dabei waren es eigentlich nie die großen Hits. Van Ronk hat oft eine versteckte Schönheit in unbekannteren Dylan-Titeln gesehen. Und wenn die noch zu seinem Stil gepasst haben, hat er sie (wie auch bei vielen Joni Mitchell-Songs) umarrangiert und in seine Liste aufgenommen. 1980 kam das Album Somebody Else, Not Me heraus, das einen bunten Mix verschiedener Stücke enthielt. Scott Joplins Entertainer ist genauso drauf, wie Somebody Else, Not Me von Bert Williams oder der alte Folksong Old Blue. Dabei ist auch Dylans Song to Woody. Einer der ersten Titel, die Dylan überhaupt geschrieben hat. Dave van Ronk spielt den Song 1980 in kleinen Portionen. Ganz sensibel streicht er die Gitarre und singt ganz wehmütig, wird dann plötzlich ganz laut und verstummt wieder. Aus Bob Dylans-Hommage im Flatpick-stil wird bei van Ronk eine herzzerreißende Abschiedshymne.

Neue Poesie finden in den alten Klassikern: Subterranean Homesick Blues und Buckets of Rain

Ein schwer zu kriegendes Album ist To All My Friends in Far-Flung Places von 1994. Im Laufe der 70er und 80er Jahre war die Welt um Dave van Ronk im Wandel. Seit den späten 70er Jahren gab es einen Songwriter-Austausch junger Musiker*innen, der sich zu einer neuen Folk-Szene entwickelte. Sie trafen sich im SpeakEasy, einer Bar in Greenwich Village, zur Open Stage und brachten ein Magazin mit Sampler-LP (später CD) heraus um die neuen Songwriter*innen zu präsentieren. Van Ronk schlug den Namen CooP vor, später wurde es als Fast Folk bekannt. Hier war Dave van Ronk noch einmal mehr als in den 60er Jahren die graue Eminenz um die sich Musiker und Musikerinnen scharten. Als kleine Zelebrierung dieses neuen Kreises an jungen Talenten kam To All My Friends in Far-Flung Places 1994 heraus. Dylan ist im Geiste auch dabei. Wieder entdeckt van Ronk eine neue Seite eines Dylan-Songs. Zum Bluesrock von Subterranean Homesick Blues von 1965 kann van Ronk mit urigem Südstaaten Blue antworten. Seine Version spielt sich mit Memphis Slim-artigem Boogie Woogie Piano und einer prominenten Bluesharmonika. Dazu noch eine Muddy Waters-Slide Gitarre und schon hat man eine etwas wackelige, aber lustige Version von Dylans Song.

Dave van Ronks Stärke lag im Arrangement. Er bezeichnete sich selbst in einem Interview mit Elijah Wald als: „I’m a singer. And I’m a singer who’s very, very fussy about accompaniments. So, everything that I’ve learned to do on the guitar has been directed toward giving myself a better backup. […]. What I am is a careful guitarist. I think about what I’m doing. My idol in this regard is Duke Ellington, who paid attention to voicings, timbre, dynamics, tone color and all that kind of thing.“1 In seinen letzten Lebensjahren hat Dave van Ronk gerade seine älteren Stücke genau nach dieser Formel behandelt. Seine Arrangements wurden im Laufe seiner Karriere immer feingliedriger und gefühlvoller. Er hat dem Blues-Klassiker Nobody Knows You When You’re Down and Out eine ganz neue, sehr charmante Hülle gegeben und dabei den Witz des Old Time Jazz und Blues nicht liegen lassen. Gerade Blues wird von vielen Bands und Musikern totgespielt und plattgeschlagen. Oft zu laut, hastig und mit dem Holzhammer wird da musiziert. Der inneren Poesie und Verletzlichkeit des Genres ist das der Tod (genauso geht es im Übrigen auch dem Ragtime). Ein Schatz ist es, den Dave van Ronk vor allem seit den 80er Jahren auf Platte und Live präsentiert. Buckets of Rain ist ein Song, der bei Bob Dylan schon mehr ist als ein einfacher Blues. Erschienen auf Blood on the Tracks im Jahr 1975, nimmt diesen Platz schon Meet Me in The Morning auf der Scheibe ein. Buckets of Rain hat bei Dylan schon ein folkiges Feeling mit expressivem Gitarrenpart und verspieltem Bass, gespielt in einer offenen Stimmung und gesungen wie ein Singer/Songwriter-Song von Paul Simon. Gerade der Abstieg in Melodie und die Begleitung am Ende jeder Strophe wirkt sehr versöhnend. Auf seinen letzten Konzerten spielte Dave van Ronk seine Version des Songs einige Male. Und hier seziert er den Titel förmlich. Der wippende Swing bei Dylan ist hier einer sehr ehrlichen Fingerstyle-Gitarre gewichen, die jeden Ton spielt, als wenn sie ihn auch so meint. Van Ronk spielt den Song ohne schmückendes Beiwerk. Hier ist nichts zu viel. Alles hat seinen angestammten Platz. Man würde merken, wenn etwas fehlen würde. Bei Dylans Song ist der Knackpunkt der, dass es eben ein Singer/Songwriter-Blues ist. Eine Ballade mit holzigem Einschlag. Diese beiden Stärken interpretiert van Ronk um in eine poetische und knallhart ehrliche Liebesbekundung ohne Umschweife. Gerade zu seinen letzten Lebensjahren eine bewegende Version, die er aus Dylans Song von 1975 macht.

Zum Schluss: Es ist kein einfaches Lehrer-Schüler-Verhältnis

Im Grunde muss am Ende dieses Textes gar nichts neues gesagt werden. Was Dave van Ronk kann, das ist das Zusammenkochen und Verfeinern. Der Mann war nicht nur leidenschaftlicher Koch, er hat seine Musikstücke ausgewählt und ergänzt wie es nur ein Chefkoch könnte. Die Stärken und vielleicht Schwächen eines Stückes zu erkennen und dann zu wissen was zum eigenen Stil passt, das dann noch arrangieren und spielen/singen zu können. Das ist wirklich etwas, das den Begriff Kunst verdient hat und das hat Dave van Ronk beherrscht. Bob Dylan war für Dave van Ronk nicht nur ein Freund, Schüler und Kollege. Er war auch eine Inspirationsquelle, die nicht nur vom Bild des lyrischen Protestsängers gespeist wurde. Die sehr persönliche und ganz greifbare Dimension von Dylans Stücken konnte van Ronk erkennen und nutzen. Schlussendlich ist Dave van Ronk das, was es in der Musikerwelt immer seltener gibt: ein hervorragender Analytiker mit dem Sinn für das Schöne. In dem Sinne war es ein Segen, dass er Dylan so früh kennenlernte und ihn abseits der Fassade des mystischen und coolen Popstars erkennen konnte.

Es muss am Ende immer menscheln. Und das auch musikalisch. Zwischen Dave van Ronk und Bob Dylan war auf jeden Fall viel Menschelndes da. Es handelt sich bei den beiden eben nicht um den Meister und seinen Zögling, sondern um zwei fähige Musiker in verschiedenen Lebenslagen.

1 https://www.elijahwald.com/Van-Ronk-singout.html

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