No Kings: The Joker & The Queen reloaded 2025


Einer muss den Protest-Dylan geben und Jesse Welles macht den Job richtig gut

von Thomas Waldherr

Während die Demokraten sich mit drei Siegen in die politische Auseinandersetzung in den USA zurückgemeldet haben, haben die Grassrootsbewegungen schon seit Monaten den Boden für lautstarken Protest gegen Trump bereitet. Am 14. Juni und 18. Oktober gingen Millionen in den USA auf die Straße. Davor war es im Frühjahr die Städtetour durchs Landesinnere von Bernie Sanders und Alexandria Occasio-Cortez, die die Menschen aufstehen ließ. Immer dabei waren die Altmeister Neil Young und Joan Baez. Doch wer denken würde, da käme nichts neues nach, dem sei hier einmal Jesse Welles vorgestellt. Er hat den Song zur Bewegung geschrieben und ihn vor ein paar Tagen dann auch zusammen mit Joanie gesungen. Wer die Bilder gesehen hat: Das waren The Joker & The Queen reloaded 2025!

Jesse Welles, Jahrgang 1994, heißt der junge Mann, der in altbewährter Weise mit Gitarre und Mundharmonika im Halter die Mächtigen angreift. Wer seine Songs wie „The President“, „War Isn’t Murder“, „The Poor“ oder „Mass Shootings“ hört, der hört unverstellte Kritik und trotzdem feine Lyrik. Natürlich spielt Welles mit dem Bob Dylan-Appeal, aber selbst der frühe Dylan war nie so eindeutig, war vieldeutiger, als es Welles ist. Welles erinnert da mehr an Phil Ochs als an Dylan.

Das tut der Stimmung keinen Abbruch. Dieser Auftritt am 4. November ist historisch und Welles spielt die Dylan-Rolle perfekt. Erst singen Joan und Jesse gemeinsam mit dem Publikum „No Kings“ und dann verzücken die beiden mit dem Dylan-Klassiker „Don’t Think Twice, It’s Alright“. Augenblicke lang reibt man sich die Augen. Sind wir in einem Raum-Zeit-Kontinuum? Schreiben wir das Jahr 1963? Nein, es ist nicht Dylan, den Joanie zwischen den Songs herzt, drückt und küsst.

Eindeutiger als Dylan

Quelle: Wikimedia Commons

Aber auch sechzig Jahre nach dem Folk-Revival giert das Publikum immer noch nach solchen Archetypen. Und Welles, der schon eine Dekade Musik macht und Frontmann der Bands Dead Indian und Cosmic American war, hat im vergangenen Jahr die Lücke geschlossen. Nun hat der Protestsong wieder ein junges Gesicht. Die neue Protestgeneration, die Generation „Figh Oligarchy“ und „No Kings“ braucht Musik, die nach vorne schaut und nicht rückwärtsgewandt die Sixties verklärt. Das sie dabei Joan Baez als Legende und „Mutter des Protestsongs“ frenetisch verehrt und feiert, tut dem keinen Abbruch.

Baez hingegen muss es wie eine späte Genugtuung vorkommen. Da ist wieder ein junger Wuschelkopf, der dichten und singen kann und den Menschen aus dem Herzen spricht. Kein Wunder, dass sie ihm ihre Wertschätzung öffentlich eindeutig zeigt. Und Jesse kann ja nicht nur Protest. Er ist als Songwriter schon breit aufgestellt. Er ist eindeutiger als Dylan es war, vielleicht da näher an Phil Ochs dran. Aber er hat diese dylaneske strubbelige Schönheit und Lässigkeit, die Phil Ochs nie hatte.

Die Stimme seiner Generation

Während Jesse Welles die Stimme der neuen amerikanischen Protestgeneration ist, hat sich Dylan längst vom Zeitgeist entkoppelt. Aber nur so konnte er zeitlos werden. Und deswegen muss er heute keine neuen Protestsongs schreiben. Von „Masters of War“ über „Hattie Carroll“ bis „All Along The Watchtower” – Dylans böses Amerika ist wieder da, war nie fort. Rüstung, Rassismus, Verfolgung von Minderheiten und Andersdenkenden – all das ist wieder da und schlimmer denn je. Daher sind Dylans Songs zeitlos und heute unvermindert aktuell.

Jesse Welles aber muss weder Bob Dylan noch Phil Ochs sein. Er ist einfach der richtige Mann in der Rolle des jungen Dylans in neuen Zeiten des Protests. Und das ist gut so.

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