„Dave van Ronk hat Bremer Knipp gegessen“

Interview mit Volker Steppat. Organisator der Dave van Ronk-Konzerte in Bremen 1993

vom 9.10.2025, Interview geführt von Richard Limbert

RL: Hallo Volker Steppat. Du hast die Dave van Ronk Tour 1993 organisiert. Erstmal etwas zu dir, Volker: du warst jahrzehntelange bei Radio Bremen Redakteur?

VS: Ja. Als Redakteur für die Jazz- und Pop-Redaktion. Über einen langen Zeitraum zusammen mit dem Kollegen Peter Schulze. Und anschließend noch mit dem Kollegen Arne Schumacher, bis 2012. Und dann fünf Jahre, sozusagen arbeitend im Ruhestand auch nochmal.

RL: Und wie hat das bei dir angefangen, dass du auch Konzerte organisiert hast?

VS: Als Jugendlicher. Ich weiß gar nicht. Mit 16-17 Jahren. Das war die große Zeit der Beat-Bewegung in den frühen 60er Jahren, so 1963/64. Alle Leute wollten in einer Band spielen. Da entsteht das einfach. Da kümmert man sich, dass eine Band Jobs bekommt, ruft an, macht was, organisiert. Das gehört dann dazu.

RL: Ich habe auch gesehen, bei diesem absolut legendären Blues Live-Album von Bukka White Sparkasse In Concert: Country Blues von 1975. Da warst du auch mit dabei. Wie kam es dazu?

VS: Wir haben versucht Bukka White 1974 einzuladen. Und da hatte Siggi Christmann, der damals einer der wichtigsten Blues-Promoter in Europa war, einen Termin angeboten im Rahmen einer Tournee die er machte. Diese Tournee war vorgesehen für den Oktober, November ’74. Und ist dann leider ausgefallen aufgrund dessen, dass Bukka Whites Frau einen Schlaganfall hatte und er nicht ausreisen konnte. Dann haben wir aber versucht weiterhin mit Bukka White direkt im Gespräch zu bleiben und haben dann einen Termin für ’75 organisiert. Da ist er rübergekommen für eine Woche. Und war hier in Bremen für ein paar Tage und hat noch einen Abend in Hamburg gespielt. Das wurde damals aufgezeichnet, und zwar für den ganz frühen Rockpalast, der damals noch nicht Rockpalast hieß. Aus diesen Radioaufnahmen ist dann diese Platte entstanden.

RL: Jetzt komme ich schonmal im Galopp zu Dave van Ronk. Wie hast du damals überhaupt zum ersten mal von ihm erfahren? Er war ja nicht so ein riesiger Name wie Bob Dylan oder ähnliche.

VS: Das kann ich gar nicht ganz genau sagen. Das ist ja immer so ein Amalgam aus dem, was man irgendwo mal liest, hört etc. Gesprochen haben wir unter anderem über ihn mit Odetta. Wir hatten Odetta eingeladen für Konzerte Ende der 80er Jahre für unser Frauenfestival in Bremen. Und sie hat davon erzählt, dass sie ihn kannte. Wir hatten aber auch vorher schonmal versucht etwas zu organsieren, als irgendwo herumgeisterte, dass er nach Europa kommen würde und Konzerte in Italien geben sollte. Das hat nicht funktioniert, aus Termingründen. Wir habe dann gesagt, wir versuchen ihn direkt zu kontakten. Das hat dann sehr gut funktioniert. Wir haben da auch noch Kontakt mit seiner Agentur gehabt um das doppelt abzusichern. Und dann hat es funktioniert, dass er 1993 rüberkam für Konzerte, die wir hier in Bremen veranstaltet haben.

(Aufnahme des vom WDR mitgeschnittenen Konzerts, erschienen 2007 unter dem Titel On Air)

RL: Sein damaliger Manager war Mitchell Greenhill.

VS: Ja. Ich habe noch manchmal mit seinem Sohn zu tun.

RL: Und wie lief der erste Kontakt mit Dave van Ronk ab?

VS: Sehr gut. Das war einfach klasse. Erst angerufen und man hört eine Stimme und sagt zu sich: „Oh ja. Das könnte gut werden“. Das war’s einfach. Wir haben direkt Post ausgetauscht. Das dann auch offiziell gemacht über die Agentur. Es war vollkommen unproblematisch. Keinerlei Allüren. Es ging einfach darum: wer bezahlt das Ticket? Wie komm ich rüber? Wie werde ich versorgt? Wer kümmert sich um mich? Das war’s. War wunderbar.

RL: Wann habt ihr euch zum ersten mal persönlich kennengelernt?

VS: Als wir ihn vom Flughafen abgeholt haben. Also im Januar ’93.

RL: Was war dein erster persönlicher Eindruck von ihm?

VS: Ein interessanter Mann (lacht). Im wahrsten Sinne des Wortes. Ein wirklich kräftiger Typ. Die Bilder die man vorher hat von der Musik bringt man dann zum Überlappen mit der Person die vor einem steht. Das hat sehr gut funktioniert. Das konnte ich, wie sagt man, wunderbar übereinanderlegen.

RL: Wo hat Dave van Ronk gelebt als er in Deutschland getourt hat?

VS: Hier in Bremen. Wir haben ja nur diese beiden Konzerte plus die Fernsehaufnahmen hier gemacht. Das war’s. Das merkwürdige ist das: ich hab‘ noch hinterher überall gesucht aber wir haben keine weiteren Unterlagen gefunden über Konzerte. Das heißt, wir haben ihn hier hergeholt und ich kann mich auf den Teufel nicht erinnern, was danach passiert ist. Wir haben das Flugticket gehabt, das wir bezahlt haben. Aber im Nachgang zu unseren Konzerten habe ich nochmal gesucht und auch im Netz einfach nichts gefunden. Bis auf diese eine Information, dass er anscheinend in Belgien aufgetreten ist Ende des Monats.

RL: Ich hätte auch großes Interesse daran, mehr Informationen und Unterlagen zu diesen Touren zu haben. Aber man findet online einfach nichts. Deshalb will ich auch gerne ein Forschungsprojekt zu Dave van Ronks Konzerte in Europa starten. Van Ronk hat also zwei Auftritte und einen Fernsehauftritt hier in Bremen absolviert?

VS: Ja. Er ist bei uns am Freitag angekommen, hier in Bremen gelandet. Und dann trat er in einer populären Vorabendsendung in Bremen auf, Swisch hieß die, in der sonst auch Schlager-Leute aufgetreten sind. Da gab es auch tagesaktuelle Berichte, immer Samstag Abends vor dem Hauptabendfernsehprogramm. Da haben wir ihn damals untergebracht. Die Kollegen dort in der Redaktion fanden das interessant und das war’s. Er hat dort eine bzw. zwei Nummern gesungen. Wunderbar! Heutzutage kann man davon nur noch träumen.

RL: Jawohl. Wie kam er beim Publikum an? Hattest du das Gefühl, dass er anders spielte als in den USA? Ich sag das jetzt, weil es mir aufgefallen ist. Das steht ja auch in den Liner Notes für die Aufnahme hier im Packhaustheater, dass er kaum zwischen den Songs geredet hat, weil das Publikum wohl nicht so englischsprachig war.

VS: Nein. Er hatte das Gefühl, dass eventuell die sprachliche Distanz zu groß wäre. Er ist davon ausgegangen, dass Songtexte eher den Fans bekannt sind und später mal nachgelesen worden sind, als wenn er jetzt Konversation betreiben könnte. Er dachte, dass das eventuell schwieriger wäre, das entsprechend zu verstehen. Wir haben aber dagegengehalten. Das war aber an den Tagen nicht zu machen.

RL: Und gerade in der Zeit hat er mit Going Back to Brooklyn ein Album herausgebracht, das nur mit Eigenkompositionen bestückt war. Mit großartigen Songs, wie Losers und Blood Red Moon.

VS: Ja. Das war hier weniger die Situation.

RL: Aber dafür spielt der hier in Deutschland House of the Rising Sun oder Kansas City Blues. Also richtig schön alten Blues.

VS: Ja. Das war so, als wenn er quasi nochmal unterrichten wollte. Wir haben uns einfach gefreut, es war klasse.

RL: Hattest du da irgendwelche Rückmeldungen des Publikums oder der Medien?

VS: Das Publikum war absolut fasziniert von ihm. Es war ganz offen und hat es auch entsprechend gewürdigt. Und das war auch genau so in der Presse. Er ist wahrgenommen worden als jemand, der eine wichtige Persönlichkeit in dieser Szenerie ist. Auf jeden Fall.

RL: Hast du abseits vom normalen Geschäftsumgang mit ihm irgendwas unternommen? Habt ihr euch privat getroffen?

VS: Wir haben viel zusammengesessen in der Zeit. Es gab noch viele Leerstellen sozusagen. Es gab die Proben und die Konzerte. Aber man ist zusammen ins Hotel gegangen, hat zusammen gefrühstückt, haben zu Mittag gegessen. Man hat nach den Konzerten zusammengesessen. Ein absolut kommunikativer, zugewandter, freundlicher Mensch, der auch interessiert war an den Lebensumständen hier. Das war einfach ein Austausch. Das war wunderbar.

RL: Weißt du, wie sein Eindruck von Bremen oder Deutschland war? Hat er sich dazu irgendwie geäußert?

VS: Das muss ich jetzt im Moment verneinen. Wir sind mit ihm auch unterwegs gewesen und haben ihm Dinge gezeigt. Wir haben einen Kernstadtrundgang gemacht hier in der Altstadt von Bremen. Genauso wie mit Bukka White damals. Wenn Amerikaner hierherkommen und sie gehen durch einen mittelalterlichen Stadtteil, dann sind sie alle natürlich erstmal vollkommen von den Socken. Sie sind völlig begeistert darüber. Die denken dann „Okay, wann sind die USA besiedelt worden?“ und versuchen das irgendwie zusammen zu bringen. Er war natürlich vollkommen angetan davon, z.B. so eine alte Kirche zu sehen, die 1000 Jahre alt ist. Er war ja einfach offen und interessiert, was hier passiert.

RL: Das fällt mir jetzt ganz spontan ein: Dave van Ronk war doch auch ein leidenschaftlicher Koch. Hat er sich irgendwie über die deutsche Küche geäußert?

VS: Nein, das hat er nicht. Aber er hat gut zugeschlagen. Er hat kein Problem mit der deutschen Küche gehabt. Wir haben da bestimmte lokale Gerichte, wie Bremer Knipp und Lapskaus. Das fand er vollkommen interessant. Er hat es auch probiert, also mit großer Begeisterung gegessen. Er war nicht scheu im Ausprobieren von fremden Gerichten. Das hängt sicher damit zusammen, dass er begeisterter Hobbykoch war.

RL: Dave van Ronk war in den 80ern ja schon einmal in Deutschland. Er hat zumindest in Göttingen im Nörgelbuff einen Auftritt gehabt. Da sind auch die Fotos von Axel Küstner bei entstanden, die er mir gezeigt hat. Ich fand das ganz interessant: es gibt ja so eine gewisse norddeutsche Folk-Connection. Stockfisch Records kommt ja auch aus Niedersachsen. Van Ronk wurde, finde ich, gerade damals in Norddeutschland stärker wahrgenommen.

VS: Ich kann das jetzt nicht für den südlichen Teil Deutschlands beurteilen, aber es gab hier natürlich immer eine große Blues- und Folk-affine Szene. Und van Ronk ist ja sozusagen in beiden Bereichen zu Hause. Da ist natürlich so eine Offenheit da gewesen. Es sind immer Vereinzelte, die immer irgendwo jemanden interessantes finden und das dann dem ganzen Freundeskreis vorstellen. Damals ganz besonders. Man hat da Scheiben weitergereicht. Es war möglich hier Informationen zu bekommen, die man im Süden vielleicht nicht so leicht hatte. Hier war natürlich die Andockung grundsätzlich immer an die Hafenstädte. Hier ist immer schneller Information dagewesen aus diesen Bereichen, aus den Vereinigten Staaten, als in anderen Teilen Deutschlands, glaube ich. So eine Stadt wie Bremerhaven war das Einfallstor für die Amerikaner nach 1945 nach Hamburg. Es war der größte Hafen, der Materialien für Panzer bis zu Lebensmitteln nach Europa gebracht hat für die amerikanische Armee.

RL: Ich bin vor kurzem online auch über ein Video gestoßen vom schottischen Songwriter Hamish Imlach, der in Bohmte, auf dem platten Land bei Osnabrück, in den 90er Jahren gespielt hat.

VS: Ja genau. Diese Folk-Szene war sehr lebendig. Die startete schon viel früher. Das fing ja wirklich in den 50ern schon los, dass die ganzen Folkies eingeladen worden sind und hier auf Tour waren. Deutschland, auch weiter südlich, das war für die ein guter Markt, der ähnlich groß war wie der englische oder der schottische oder irische usw. Da gab es natürlich auch diese ganzen Querverbindungen.

RL: Vielleicht kommen wir nochmal zurück zu Dave van Ronk. Hast du ihn dann wiederum auch in den USA besucht?

VS: Nein, das habe ich nicht. Ich habe später seine Frau Andrea [Vuocolo] dann besucht. Als wir später dann darüber gesprochen haben ob wir eine Chance haben das Material auch zu veröffentlichen und bei Tradition & Moderne als Album rauskommen sollte. Das war einfach klasse. Andrea war eine extrem nette und warmherzige Person, die ganz offen dafür war und das mit unterstützt hat.

RL: Wenn du an diese Tour von ’93 mit Dave van Ronk zurückdenkst, was ist deine Lieblingserinnerung? Woran denkst du als erstes wenn du an diese Tour denkst?

VS: Dann denke ich daran, dass man ihm gegenüber gesessen hat und ein sehr intensives Gespräch führen konnte über Themen, die viele andere Menschen nicht interessieren.

(Richard Limbert und Autor Volker Steppat, Oktober 2025)

RL: Zum Beispiel?

VS: Über ganz bestimmte Blues-Themen. Über Musiker, die nicht gerade zum allgemeinen Wissens-Kanon gehörten usw. Das war einfach das Interessante. Und er war ja auch einfach interessiert. Er hat gefragt „Wen habt ihr jetzt in letzter Zeit gemacht? Wen habt ihr hier vorgestellt? Wer kommt jetzt in letzter Zeit zu euch?“ Er war einfach ein so umfassend-interessierter Mensch, das war ein großes Vergnügen. Wenn jemand ja nur ein paar Tage da ist, also drei, vier, fünf Tage, dann ist der Austausch natürlich auch beschränkt. Aber wir haben versucht in der Zeit, dass er eine Menge kennenlernt und wir haben dabei auch eine Menge kennengelernt. Das war einfach großartig, eine menschlich sehr angenehme Zeit.

RL: Das kann ich mich sehr gut vorstellen. Auch alles was ich von ihm weiß, klingt immer nach einer sehr intelligenten und gleichzeitig humorvollen Person. Ich denke auch daran, dass als ich mit Elijah Wald zusammensaß, er mir sagte dass obwohl [Walds] Vater den Nobelpreis bekommen und und Professor in Harvard war, und er darum diverse hochintelligente Menschen in seinem Haus ein- und ausgehen gesehen hat, Dave van Ronk der am breitesten belesene Mensch war, den er in seinem Leben jemals kennengelernt hat.

VS: Ich glaube, dass Literatur für van Ronk ein ganz wichtiger Faktor war. Er hat ja auch immer was dabei gehabt. Er hatte immer im Gitarrenkasten irgendwas zu lesen dabei.

RL: Weißt du, was er damals gelesen hat?

VS: Das kann ich dir leider nicht mehr sagen. Das wäre schön gewesen. Hätte ich gewusst, dass ich 32 Jahre später darüber nochmal was erzählen kann, hätte ich sehr genau drauf geachtet und es mir notiert. Hat leider nicht geklappt. Nein, aber er hat immer ein Taschenbuch dabeigehabt. Das waren ja die am leichtesten zu transportierenden literarischen Objekte.

RL: Er hat ja auch Bob Dylan, als er noch auf van Ronks Couch geschlafen, hat literarisch versorgt. So war er ihm eben auch ein guter Lehrmeister. Ich schreibe gerade einen Text darüber, wie nicht van Ronk Bob Dylan, sondern Dylan Dave van Ronk beeinflusst hat. Also welche Stücke von Dylan van Ronk in seinem Repertoire hatte. Er war also auch einer, der sich hat sehr offen beeinflussen lassen, zumindest was ich aus seinem Repertoire und seinen Aufnahmen kenne. Das finde ich immer ganz faszinierend.

VS: Ich glaube, das hat auch was mit seiner Frühzeit zu tun. Als Seemann. Als jemand, der in der Folk-Szene sehr früh angefangen hat in den 50er Jahren. Er war einfach offen. Auch durch die Kontakte, die er zum Beispiel mit jemandem wie Odetta hatte. Einer Person, die auch aus allem geschöpft hat und für sich keine Grenzen hat geben lassen mit ihrem Repertoire. Wenn man das mal verfolgt, dann – finde ich – kann man durchaus Parallelen da erkennen. Dave van Ronk hat auch jazzige Geschichten aufgenommen, Odetta hat das auch gemacht. Und die beiden waren in einem relativ engen Austausch. Und wie sagt man so schön: das färbt einfach ab.

RL: Er war jemand, der nicht immer seinen eigenen Bauchnabel umkreist.

VS: Nein, gar nicht. Mit seinem weit-gestreuten Interesse an anderen Dingen, an anderen Menschen, an anderen Musikstilen, etc.

RL: Ich glaube ich kann mich für dieses Interview schon einmal bedanken. Ich habe nur eine Frage: darf ich das Interview „Dave van Ronk hat Bremer Knipp gegessen“ nennen?

VS: (lacht) Ja natürlich. Das kannst du machen.

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