Beyoncé, Alice Randall und der Kulturkampf um das „Black Country“

von Thomas Waldherr

Noch immer wird es nicht als selbstverständlich hingenommen, dass afroamerikanische Künstlerinnen und Künstler Countrymusik machen. Dabei gäbe es ohne die afroamerikanischen Einflüsse die Countrymusik gar nicht/ Bob Dylan auf Tour mit schwarzen Roots-Musiker:innen

Als Beyoncè „Cowboy Carter“ veröffentlichte war das Geschrei in den sozialen Medien wieder groß. Obwohl Beyoncé selber schon gesagt hatte, ihr neues Album „Cowboy Carter“ sei kein Country-Album, wurde beharrlich und in recht bestimmter Manier sich ausgemährt: „Das ist kein Country-Album!“ Ja, das ist kein Country-Album. Obwohl Countrysongs darauf enthalten sind. Und es auch geht gar nicht darum, dass einem das nicht gefällt. Das muss es nicht, die Geschmäcker sind verschieden und das ist auch gut so. Problematisch ist allerdings die Ignoranz gegenüber dem Anliegen der Künstlerin. Beyoncé ist es zu verdanken, dass durch ihr Album Lina Martell wiederentdeckt wurde, sie erinnert mit ihren Songs an die afroamerikanischen Beiträge zur Country & Western-Kultur.

(Quelle: Columbia Interational)

Frauenrollen in der Countrymusik

Ganz nebenbei hat sie mit Willie Nelson und Dolly Parton beste Fürsprecher und einer der genialsten Züge ist es, dass Beyoncés „Jolene“ ihrer Nebenbuhlerin eine ganz andere Ansage macht als in Dollys Original. Statt Parton’s “I’m beggin’ of you, please don’t take my man” singt Beyoncé “I’m warning you, don’t come for my man”. Hier wird nicht gebettelt, hier wird gekämpft. Dem Song diese Wendung zu geben war so logisch und so überfällig, da war selbst Dolly begeistert. Nur einige ewig Gestrige Country-Fans kommt das der Ketzerei gleich. Klar: Frauen müssen im Country immer zu ihrem Mann stehen und sie müssen alles erleiden und auch gegenüber der Nebenbuhlerin wird dann auch nicht gekämpft, sondern Verständnis eigefordert.

Es scheint, als wäre der Kulturkampf in den USA, der von den Rechten so geführt wird, dass in punkto Gleichberechtigung, Bürgerrechte, Sexualerziehung und Inklusion die Reise zurück in die 1950er Jahre gehen soll, nun tatsächlich mitten im Country angekommen. Dabei war die Countrymusik schon mal weiter. Und das nicht erst seit Taylor Swift, Kelsea Ballerini oder Kacey Musgraves. Schon Loretta Lynn Dolly Parton in den 1960ern oder Martina McBride in den 1990ern stellten die Geschlechterverhältnisse in Frage. Doch im Amerika des Jahres 2024, in dem das Recht auf Abtreibung in den republikanischen Bundesstaaten zunehmend wieder verweht werden soll, sind die alten Werte wieder auf dem Vormarsch.

Kulturkampf von rechts

Der Kulturkampf von rechts beinhaltet neben dem Zurückdrängen progressiver Geschlechterrollen auch der Roll Back in Sachen Bürgerrechte und afroamerikanischer Emanzipation. Quotierungen und Förderungen von afroamerikanischen Student:innen und Stipendiat:innen werden in Frage gestellt und teilweise auch schon kassiert. Wahlkreise werden in republikanischen Staaten so zugeschnitten, dass demokratische Mehrheiten verhindert werden. Mit einer Unterart dieses so genannten „Gerrymandering“, dem „Gefängnis-Gerrymandering“ werden ethnische Gruppen systematisch von der Wahl ausgeschlossen „In den USA zählen Gefängnisinsassen für den Ort, an dem das Gefängnis steht, dürfen jedoch in 48 der 50 Bundesstaaten nicht wählen. Weil die meisten Gefangenen aus urbanen Gebieten stammen und überproportional oft schwarz sind, bedeutet diese Praxis eine Verschiebung des Gewichts hin zu ländlichen, zumeist von Weißen bewohnten Wahlkreisen (in denen sich viele der Gefängnisse befinden).“ (Vgl. Wikipedia) Und in den südlichen Wahlkreisen, in denen Schwarze wohnen ist es für diese noch immer nicht selbstverständlich, sich für die Wahl registrieren zu lassen. Dass es seitens republikanischer Politiker:innen Bestrebungen gibt, in Lehrplänen der Sklaverei positive Effekte anzudichten oder gar die Behandlung des Thema ganz zu tilgen, ist da nur die absurde Spitze des Eisbergs beim Roll-Back der Bürgerrechte.

Da liegt es auf der Hand, dass man eine vielfältige, bunte und diverse Countrymusik erst gar nicht aufkommen lassen will. Daher der heftige Widerstand der Rechten und ihrer Parteigänger gegen Beyoncè Album in den Foren der Sozialen Medien.

Countrymusik und ihre afroamerikanischen Wurzeln und Beiträge

Doch neben Beyoncés Album erscheinen im Frühjahr dann auch zwei weitere wichtige Werke zur Geschichte der afroamerikanischen Countrymusik. Die afroamerikanische Nashville-Songwriterin und Buchautorin Alice Randall – sie war die erste Afroamerikanerin, die als Co-Autorin einen Nr.1-Conutryhit zu verantworten hatte, veröffentlichte ihr Buch „My Black Country“. Dort schreibt sie nicht nur über ihre eigene Geschichte als schwarze Songwriterin in einem weißen Business, sondern erinnert auch an die Ahnen der schwarzen Countrymusik: DeFord Bailey, dem schwarzen Star der Grand Ole Opry in deren Anfangszeit, Lil Hardin, die als damalige Ehefrau von Louis Armstrong mit ihm auf Jimmie Rodgers „Blue Yodel No. 9“ spielte, Herb Jeffries, dem schwarzen „Singing Cowboy“ aus den 1930er Jahren, Ray Charles mit seinen „Modern Sounds in Country and Western Music“ sowie Charley Pride, dem einzigen schwarzen Country-Millionseller vor Darius Rucker.

(Quelle: Atria/Black Privilege Publishing)

Begleitend zu dem Buch gibt es auch ein Album, auf dem erstmals Randalls Songs von schwarzen Musikerinnen interpretiert werden. Darunter auch Valerie June und Rhiannon Giddens, die als Mitglied der Carolina Chocolate Drops und als Solo-Sängerin seit der Obama-Ära die afroamerikanische Countrymusik wieder aus der Versenkung geholt hat. Sie spielte in der TV-Serie Nashville mit, sie tat viel dafür, dass das Banjo als ursprünglich afroamerikanisches Instrument wieder entdeckt wurde und sie war als Musikerin an Beyoncès Hit „Texas Hold ‘Em“ beteiligt.

„Die Vorstellung, dass es so etwas wie rein „weiße“ Musik gab, war zumindest seit der Zeit, als der schwarze Gesang nach dem Großen Erwachen in den 1740er Jahren begann, die gesamte protestantische Kirchenmusik Amerikas zu beeinflussen, fehlerhaft“, heißt es auf der amerikanischen Internet-Plattform „AlterNet“. Und mehr noch: Ohne die musikalischen Einflüsse von Blues und schwarzer Stringbandmusik wäre die Countrymusik gar nicht vorstellbar. Und dieser Einfluss brach sich auch in direkten persönlichen Einflüssen seinen Weg. So wissen wir, dass der Schwarze Rufus „Tee Tot“ Payne dem Hillbilly-Shakespeare Hank Williams das Gitarre spielen beigebracht hat. Dass A.P. Carter ohne seinen schwarzen Freund Lesley Riddle nicht so viele Lieder hätte zusammen tragen, Maybelle nicht so toll Gitarre gespielt hätte und somit die Carters ohne Riddle nie zur „First Family of Country“ hätten werden können. Wir wissen aber auch über verborgene Zusammenarbeiten: „Jimmie Rodgers, der „Vater der Country-Musik“, jodelte nicht nur – mit ziemlicher Sicherheit entlehnt von schwarzen Eisenbahnarbeitern, sondern bemühte sich auch darum, sein Meisterwerk „Blue Yodel #9“ mit Louis Armstrong und Lil Hardin aufzunehmen. Eine der frühen und sehr wichtigen Schwarz-Weiß-Kooperationen“, weiß das „AlterNet“.

Erst seit Ende der Rassentrennung in den USA waren gemeinsame öffentliche Auftritte kein Stein des Anstoßes mehr. Auch das einzige schwarze Mitglied der Grand Ole Opry, Charley Pride, hatte seinen Durchbruch erst Mitte/Ende der 60er Jahre. Sein einziger schwarzer Vorgänger, Deford Bailey aus der Anfangszeit der Opry, wurde aus rassistischen Gründen aus der Show gemobbt. Erst Ende der 1960er/Anfang der 1970er wurde er rehabilitiert und trat auch hin und wieder öffentlich auf. Johnny Cash holte ebenfalls Ende der 60er/Anfang der 70er sowohl Louis Armstrong, als auch Ray Charles, der bereits 1962 ein Album mit Countrysongs aufgenommen hatte, in seine Show. Und auch die Zusammenarbeit von Willie Nelson mit Ray Charles und Winston Marsalis ist bestens bekannt.

(Quelle: Medley Records)

Weniger bekannt ist dagegen ein Auftritt, der zu seiner Zeit ungewöhnlich und für einen bestimmten Teil des Publikums doch verstörend gewirkt haben musste. Im März 1960, die Rassentrennung in den Südstaaten war noch lange nicht abgeschafft, da trat der Hillbilly-Gentleman Tennessee Ernie Ford zusammen mit der schwarzen Folksängerin und Bürgerrechtsaktivistin Odetta gemeinsam in dessen TV-Show auf. Odetta singt „Pastures of Plenty“ vom bekennenden Kommunisten Woody Guthrie, Ford einen Gospel und beide zusammen dann noch einen Gospel sowie „The Liar“ von Tommy Makem. Ford musste gewusst haben, dass Teile seines Publikums dies sicher nicht goutieren würden. Dass er es dennoch gemacht hat ist Ausdruck einer künstlerischen Unabhängigkeit, die nicht hoch genug zu bewerten ist. Und zu dieser Zeit konnte das auch nur in den NBC-Studios im liberalen Kalifornien gemacht werden und nicht in den Südstaaten.

Der Wiederaufstieg der schwarzen Countrymusik

In den letzten Jahren waren es dann ein paar Mosaiksteine, die die Bild von „Black Country“ langsam wieder greifbar machten. Von Darius Rucker war schon die Rede, Lil Nas X hatte mit seinem Country-Hip Hop-Hybrid „Old Town Road“ 2018/19 schon einmal die Debatte befeuert. Und Dom Flemons wies mit seinem in mehrfacher Hinsicht ausgezeichneten Album „Black Cowboy“ eindrucksvoll nach, wieviel Einfluss Afroamerikaner:innen auf die Besiedlung des Westens und die Cowboy & Western-Kultur hatten.

(Rhiannon Giddens, Quelle: Wikimedia commons)

Das etablierte Country-Business versucht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. So spielten die Chocolate Drops, Rhiannon Giddens und Dom Flemons schon mehrmals in der Grand Ole Opry und bei Award-Shows konnte man auch Kooperationen zwischen Eric Church und Rhiannon Giddens oder Beyoncé und den damals noch „Dixie Chicks“ sehen. Doch gerade letztere Zusammenarbeit erntete einen großen Shitstorm. Hinter den Anti-Pop-Diva-Platitüden verbarg sich nichts anderes als ein Rassismus, der die Countrymusik weiß halten will. Das diesjährige Grammy-Duett von Country-Superstar Luke Combs mit der schwarzen Folk-Ikone Tracy Chapman gibt da erneut wieder einmal Anlass zur Hoffnung. Doch während die Rassisten bei Folkmusikerinnen wie Rhiannon Giddens und Tracy Chapman scheinbar die Füße eher still halten, mähren sie sich beim Pop-, Hip Hop und R&B-Star Beyoncè um so mehr aus. Die Texanerin aus einer „Small Town“ ist sozusagen die Projektionsfläche für all die Abneigungen der weißen Rassisten gegenüber der schwarzen urbanen Kultur. Da ist es fast zwangsläufig, dass Jason Aldeans Einschüchterungs-Video „Try That In A Small Town“ die Codes verwendet, die von den weißen Rassisten erkannt werden. Er spielt auf einem Platz vor einem Gerichtsgebäude, in dem einige Lynchmorde verübt wurden. Es werden Bilder der Black Lives Matter-Demonstrationen und Ausschnitte aus heile Welt-Darstellungen der 1950er Jahre gezeigt. Die Ansage des Songs/Videos gilt auch und erst recht aufmüpfigen Schwarzen.

Bob, Beyoncè und Brittney

Doch der Kulturkampf wird angenommen. Auf Inititiative der afroamerikanischen Roots- und Countrymusikerin Allison Russell entstand die Supergruppe „The Tennessee Freedom Singers“. 35 Country- und Amerikana-Musikerinnen und Musiker darunter Emmylou Harris, Brittney Spencer, Brandi Carlile, Maren Morris, Allison Russell, Amanda Shires und Mary Gauthier, ergriffen mit dem Song „Tennessee Rise“ Partei im US-Wahlkampf und wendeten sich mit dem Song „Tennessee Rise“ gegen die Wiederwahl der trumpistischen, republikanische Senatorin von Tennessee, Marsha Blackburn. Die Politikerin ist eine große Trump-Unterstützerin, leugnet die Benachteiligung von Schwarzen im Justizsystem, lehnt schärfere Waffengesetze ab und wurde bereits 2020 von Taylor Swift als queerfeindlich kritisiert. Blackburn wird auch schon mal als „Darth Vader“ von Tennessee bezeichnet.

In diesem Zusammenhang kann man dann auch gar nicht anders als das Line Up der diesjährigen gemeinsamen Sommer-Outlaw-Tour von Willie Nelson und Bob Dylan als politisches Statement bezeichnen. Denn neben den beiden Altmeistern und üblichen Verdächtigen wie John Mellencamp sowie Robert Plant und Alison Krauss stehen mit Brittney Spencer, Celisse und Southern Avenue auch drei afroamerikanische Roots Acts auf dem Programm. Ein Brückenschlag nicht nur von alt zu jung, sondern auch von weiß zu schwarz.

Doch nicht nur mit Brittney, auch mit Beyoncè hat der gute Bob etwas gemeinsam. Auf meinem Cowboy Band Blog habe ich einige künstlerische Gemeinsamkeiten Dylans mit der Frau von Cowboy Carter herausgearbeitet was das Arbeiten mit Collagen, Zitaten, Verweisen und Metaphern angeht. Beide sind wichtige Identifikationsfiguren und: Beyoncé und Bob Dylan kuratieren amerikanische Musikgeschichte und stehen für das demokratische Amerika. (https://cowboyband.blog/2024/04/01/bob-beyonce/)

(Quelle: Blackbird)

Hoffnung und Bedingung

Es besteht also trotz der durchaus kritischen Lage in den USA noch Hoffnung auf ein Abwehren der rechten Angriffe auf die Gesellschaft. Doch dazu bedarf es eines breiten Zusammenschlusses von fast schon Roosevelt’scher Größe. Die Auseinandersetzungen um die studentischen Proteste gegen den Krieg in Gaza erschweren dies und werden am Ende auch nur den Rechten helfen.

Ein Kommentar

Hinterlasse einen Kommentar