Bob Dylan – Ein schräger Heiliger , Persönliche Fußnoten zu einer lebenslangen Beziehung

Ein Text von Reinhard Lorenz, ehemaliger Kulturamtsleiter von Eisenach und Leiter des Lippmann+Rau-Musikarchivs

7. April 1965. Unser unkonventioneller Kunstlehrer – er war 1959 Mitbegründer des bis heute bestehenden Eisenacher Jazzclubs – hatte mich überredet, ihn und eine kleine Schar von Jazzenthusiasten ins fünfzig Kilometer entfernte Erfurt zu begleiten. Dort, schwärmte er geheimnisvoll erwarte uns der „King of Jazz“, ein Magier auf der Trompete, Louis Armstrong. Erwartungsvoll, ich war nicht einmal vierzehn Jahre alt, pilgerten wir zur Thüringenhalle, die schier aus den Nähten zu platzen drohte. Zwei Stunden später hatte der Gigant Louis Armstrong mein bisheriges jugendliches Weltbild zertrümmert, die Tür zu einer mich faszinierenden unbekannten Musik aufgestoßen.

Spätsommer 1965. Längst hatte ich inzwischen meine Liebe zum Radio entdeckt, das magisch flackernde „grüne Auge“ war fortan mein Fenster zur Welt. Im Radio suchte und fand ich meine Helden aus Jazz, Folk, Rock und Blues, mit ihren Songs stillte ich meine Sehnsucht nach einem frei bestimmten Leben. Bob Dylan faszinierte mich auf dieser Suche vom ersten Moment an auf ganz eigene Art und Weise. In jenem Spätsommer hörte ich zum ersten Mal sein „Like a Rolling Stone“ , jenen aus heutiger Sicht legendären „Schwall aus Wörtern und Instrumenten“ (Greil Marcus). Dieser Song hat es mir bis heute angetan, tausend mal abgespielt, auch in der aufregenden „Stripped“-Version der Rolling Stones, an deren Ende nach 5 Minuten und 39 Sekunden ein lapidares „Thank you, Bob“ des Stones-Gitarristen Keith Richards zu hören ist. „Wie fühlt man sich, wenn man allein ist?“. Das trieb mich um in jener bewegten Zeit, da kam mir Bob Dylan, der aus den Nebeln der amerikanischen Geschichte wie ein schräger Heiliger auftauchte, gerade recht. Bob Dylan, so empfinde ich bis heute, wechselte in seinen Songs oft vom Leben ins Erfundene und vom Erfundenen zurück ins Leben. Dabei ließ er seine Fans oft ratlos zurück, auch mich. Seine Selbstzweifel zeugten dabei immer wieder von einer „inneren Monumentalität“, wie sie nur bei außergewöhnlichen Künstlern zu finden ist. Bob Dylan ist solch ein außergewöhnlicher Künstler, ohne Zweifel. Viele Jahre später sprach ich darüber mit dem Schriftsteller Adolf Muschg, der Bob Dylan Anfang der 1960er Jahre inmitten einer Handvoll Zuhörer in New York erlebt hatte, zutiefst beeindruckt war und diese Eindrücke mit zurück in die Schweiz nahm, sie bis heute in Gedanken konservierte, aber leider nie zu Papier brachte.

Einmal saß ich mit der großartigen Sängerin Nana Mouskouri im Eisenacher Bachhaus, sie hatte die Lippmann+Rau-Stiftung mit einem grandiosen Konzert im Palas der Wartburg unterstützt und wollte unbedingt dieses international renommierte Musikmuseum sehen. Nach dem sie sichtlich aufwühlenden Rundgang nahm sie sich noch Zeit für einen Kaffee, wir sprachen (natürlich) über Johann Sebastian Bach, aber auch über Bob Dylan, dessen eigenwillige Poesie, seine starken Bilder und Metaphern sie schätzte. Auch Nana Mouskouri hielt Bob Dylan für einen Märchenerzähler, einen Vaganten und Dichter, der wie alle „wandernden Poeten durch die Jahrhunderte hin ganz zwangsläufig, doch eben nur beiläufig zur Gitarre greift“ (Siegfried Schmidt-Joos). Am Ende dieses denkwürdigen Nachmittags gestand ich Nana Mouskouri, dass ich „Le Ciel Est Noir“, ihre Interpretation der Dylan-Hymne „A Hard Rain`s A-Gonna Fall“, als einen von zehn Songs mit auf die oft zitierte „einsame Insel“ nehmen würde. Und das meinte ich ernst!

Und natürlich war Bob Dylan stets ein Gesprächsgegenstand, wenn ich mit dem großartigen Impresario und Geschichtenerzähler Fritz Rau (1930-2013) zusammentraf. Und ich hatte das große Glück, ihn oft treffen zu dürfen. Längst kannte ich die Dylan-Geschichten aus den Büchern „Fritz Rau-Buchhalter der Träume“ (Siegfried Schmidt-Joos) und „Fritz Rau-50 Jahre Backstage. Erinnerungen eines Konzertveranstalters“, die Bob Dylan als einen Verehrer der alten Country Blues-Barden beschreiben. Bis heute taucht Bob Dylan unerschrocken immer wieder in die Tiefen der amerikanischen Volksmusik ein, legt deren Wurzeln frei und erfindet immer wieder neue Formate. Möge er noch lange ein schräger Heiliger bleiben.

(v.l.n.r.: Leiter der Lippmann+Rau-Stiftung Daniel Eckenfelder, Nana Mouskouri, Reinhard Lorenz, Foto: Daniel Eckenfelder)

Und hier Nana Mouskouris „Le Ciel est noir“, eine französische Übersetzung von „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“:


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