von Martin Wimmer
Viele der Superstars in der Musik haben regionale Szenen begründet. Ganze Städte und Regionen sind verbunden mit ihren Künstlern und anders herum. Grunge und Seattle. Austin und die texanischen Songwriter. Nashville und Country. Springsteen und New Jersey. Die Beatles mit Liverpool. Das Rat Pack mit Las Vegas. Elvis und Memphis. Bob Dylan dagegen hat keinen stabilen Bezug zu seiner Heimat (Duluth, Minnesota) oder anderen Orten geschaffen. Never ending ist denn auch seine Tour, ortlos zieht er über den Planeten, die Unsterblichkeit im Blick.
Umso spannender die Frage, zu analysieren welche Zusammenhänge zwischen Texas und Dylan es gibt. Welche Einflüsse gab es von dort auf ihn, welche Spuren hat er dort in der Musikszene hinterlassen?
Beginnen wir 1987. In diesem Jahr tauchte weltweit eine LP in den Regalen auf, deren Cellophanhülle mit einem Sticker beklebt war: „Townes Van Zandt is the best songwriter in the whole world and I’ll stand on Bob Dylan’s coffee table in my cowboy boots and say that.“ Das Zitat von Steve Earle bewarb das Album At My Window seines texanischen Mentors und wurde zu einer bis heute vielzitierten und -debattierten Glaubensfrage Townes or Dylan? verdichtet, die außerhalb der Fangemeinde der texanischen Songwriter kaum jemand verstand und wohl nur auch dort mit dem Namen des früh verstorbenen Traurigliedersängers beantwortet wurde, das dafür aber natürlich mit umso heftigerer Leidenschaft.

Das Zitat fiel auf einen fruchtbaren Boden. 1987 hatte Dylan bei vielen ausgedient. Er haderte mit seiner schwächsten Phase, stellte für Kritikern und Fans gleichermaßen eine einzige Enttäuschung dar. Dylan war zu dieser Zeit ein abgehalfteter Oldies-Interpret, eine Karikatur seiner selbst, das Irritierende war der Irrelevanz gewichen. Das Zitat des aufstrebenden Jungstars Earle markierte deshalb einen Wendepunkt in der durchgängig positiven Beziehung des Lone Star States mit Bob Dylan, denn es zollte auf seine Art beiden Helden Tribut.
Klar ist, Dylan prägte mit seinem Frühwerk ganz massiv die Entwicklung auch der texanischen Hippies. Kaum ein Bericht über die musikalische Sozialisation der einschlägigen später bekannten Musiker der Austin-Szene kommt ohne Elvis und Dylan aus. Elvis befreite den Unterleib, Dylan den Kopf, so kann man wohl auch für die texanische Jugend beschreiben, was Elvis’ Debutalbum März 1956 und Dylans Debut März 1962 auslösten.
Dem akustischen Blueser und Folkie folgten der rebellische Rocker, der Countrymusiker, der Beziehungs-Singer-Songwriter, der Christ, und was vielen Fans bis heute als nicht nachvollziehbare Irrwege erschien, kam in Texas als logische Kombination an. Dylan verkörperte früh den Ethos dessen, was als Austin Sound, Outlaw Music, Progressive Country populär wurde. Musikalisch schnörkelloser Countryrock mit klugen Texten, vorgetragen von widerspenstigen Typen.
Was Earle’s Zitat auf den Punkt brachte, war daher weniger Ausdruck der allgemeinen Enttäuschung von Dylan als vielmehr eines neuen Selbstbewusstseins der Szene, das sich am weiterhin bewunderten Guru maß. Während man ehrfurchtsvoll auf den Gottvater blickte, entdeckte man nun auch die eigene Stärke und artikulierte sie.
Eben hatte sich die Class of 86 in die Geschichte der Country Music eingespielt, mit den Debuts von Randy Travis, Dwight Yoakam und den beiden Texanern Lyle Lovett und Steve Earle. Earle hatte sein Debutalbum „Guitar Town“ auf Platz 1 der Charts gehievt, war für zwei Grammys nominiert und galt als die Zukunft des Countryrock. Die frisch formierten Highwaymen mit den Texanern Willie Nelson, Waylon Jennings und Kris Kristofferson zeigten, wie auch alte Haudegen sich neu erfinden konnten. Ein klassisches Songwriter-Album wie Lord Of The Highway vom Flatlander Joe Ely wurde als Album of the year bei den Austin Music Awards ausgezeichnet.
Währenddessen wiesen die Smiths und U2 von Europa aus einen gangbaren Weg, Rockmusik wieder intelligent zu verjüngen. Auch in Austin wurde das gehört und countryfiziert zum New Sincerity Sound von Bands wie Alejandro Escovedos‘s und Jon Dee Graham’s True Believers oder den The Reivers weitergeführt. Escovedo hat bis heute eine krachige Version von „Just Like Tom Thumb‘s Blues“ im Repertoire. Hier eine Aufnahme mit den texanischen Kollegen von Reverend Horton Heat live im Continental Club: https://youtu.be/tAozPqMorD4
1987 war auch das erste Jahr, in dem in Austin SXSW stattfand. Texas startete zu dieser Zeit ein drittes Mal durch.
Die erste Welle texanischer Musik, die in den 50ern und frühen 60ern die Welt eroberte, ging von den frühen Rock‘n‘Rollern aus. Buddy Holly, Roy Orbison, Roy Head, Bobby Fuller und der frühe George Jones. Dylan hat ab und an erzählt, dass er Holly wenige Tage vor dessen tödlichem Flugzeugabsturz in seiner Geburtsstadt Duluth live erlebt habe. Auf Konzerten hat er ihn oft gecovert, vor allem „Not Fade Away“. Von Head’s „Treat Her Right“ gibt es eine trotz starken Rauschens immer noch hochdynamische Liveaufnahme Dylans, die von den Proben zu einer Letterman Late Night Show 1984 erhalten ist. https://youtu.be/BRrK82A_w3Q Man kann sich vorstellen, dass es für Dylan eine große Ehre war, mit einer Legende wie Orbison in den Traveling Wilburys eine Supergroup zu bilden, für die die Highwaymen ein stilvolles Muster bildeten.
Der zweite Aufbruch war ein Jahrzehnt danach gelungen. Die zentrale Leitfigur der Szene war Jerry Jeff Walker. Der Greenwich Village Folkie war wie Dylan aus New York auf’s Land gezogen, hatte statt Woodstock aber Luckenbach, Texas und statt The Band die Lost Gonzo Band gewählt. Seine Basement Tales hießen Viva Terlingua, und dass er auf dem Zenit seiner Karriere 1977 das Doppelalbum „A Must Carry On“ mit einem Dylan-Cover – ein wunderbares „One Too Many Mornings“ – krönte, darf als deutliches Signal der Ehrerbietung gewertet werden, die Dylan damals aus Texas erbracht wurde.
Als wichtige Integrationsfigur der Austin-Szene in den 70ern galt Doug Sahm, der mit dem Sir Douglas Quintet und später den Texas Tornados unterschiedlichste Kulturen zusammenbrachte. Dylan spielte auf einem Album von Doug Sahm mit, stand mit ihm auf der Bühne, bediente sich kräftig bei dessen Band, und sie waren generell recht eng miteinander, wie man hier sehr schön in aller Breite nachlesen kann: https://expectingrain.com/dok/who/s/sahmdoug.html
Fast alles, was er zum intensiven musikalischen Austausch von Dylan und Obertexaner Willie Nelson zu sagen gibt, steht hier: https://bob-dylan.org.uk/archives/11205 Neben dem gemeinsamen Live-Cover von Townes‘ „Pancho and Lefty“ ist das Co-Write „Heartland“ hervorzuheben, das sie auch als Duett veröffentlichten.
Über die Bezüge zwischen Kris Kristofferson und Dylan informiert Thomas Waldherr kompetent und umfassend wie immer auf seinem Blog https://cowboyband.blog/2021/01/28/bob-und-kris/, beginnend mit ihrer schauspielerischen Zusammenarbeit in „Pat Garrett & Billy The Kid“. Eine herrliche Geschichte, wie Kris ihm Bob vorstellte und der einen seiner Songs sang, erzählt John Prine hier: https://youtu.be/mD0ZZX–3sg.
Auch Rodney Crowell, einer der kommerziell erfolgreichsten und künstlerisch angesehensten Texaner beschäftigte sich intensiv mit Dylan. Er coverte „Shelter From The Storm“ und erwähnt im Song „Transient Global Amnesia Blues“ vom aktuellsten Album aus 2021 Dylan, dessen Song „Mississippi“ und Album „Love and Theft“. https://youtu.be/Pyho71o0FPY
Als einer der authentischsten Dylan-Interpreten überhaupt etablierte sich der Texaner Jimmy LaFave. Wer‘s nicht glaubt: Hier hat ein Fan in einem YouTube-Video sieben seiner begnadeten Covers aus verschiedenen Quellen zusammengeschnitten: https://youtu.be/gkxQkRC1Vsg LaFave gilt als eines der zentralen frühen Bindeglieder zur Musik-Szene in Oklahoma. In den frühen 2000er wuchsen Texas Music und Red Dirt aus Oklahoma zusammen und sorgten für eine Erfolgswelle, die bis heute anhält. Stoney LaRue spielte eine populäre Version von „Forever Young“ ein. Cody Canada legte schon auf Cross Canadian Ragweeds zweitem Album ein krachiges „Rainy Day Woman“ auf. Klar, everybody must get stoned, auch im Lone Star State.
Nicht zuletzt den weiblichen Ikonen der Texas-Szene hat Dylan es angetan: Nanci Griffith (Boots of Spanish Leather), Shawn Colvin (You‘re Gonna Make Me Lonesome), Eliza Gilkyson (Love Minus Zero/No Limit), Norah Jones (Heart Of Mine), Rosie Flores (Tonight I‘ll Be Stayin Here With You) und viele mehr haben seine Songs gecovert. Lucinda Williams nahm gleich ein ganzes Album mit Coverversionen auf (Bob‘s Back Pages).
Noch mehr Dylan-Covers aus Texas, von Waylon Jennings bis Johnny Winter, gibt es hier: https://txmusic.com/10-from-texas-best-bob-dylan-covers/
Dylan wiederum tat alles, um seinerseits den Mythos Texas hochleben zu lassen. Der erste selbst geschriebene Song Dylans auf seinem ersten Album handelte von New York, aber das Album endete mit einem Cover eines Texaners, Blind Lemon Jefferson. Auch auf dem zweiten Album gab es in „Bob Dylan‘s Blues“ eine Referenz an den Lone Ranger aus Texas. Gleich zwei Produzenten aus Texas waren dafür verantwortlich, aus Robert Allen Zimmerman einen Plattenstar zu machen, Tom Wilson (Freewheelin, Times Are Changing, Another Side Of, Bringing It All Back Home) und Bob Johnston (Highway 61 bis New Morning).
Dylan coverte auf Konzerten Kinky Friedman‘s „Ride ´em Jewboy“, 1973 veröffentlichte er Jerry Jeff’s „Mr. Bojangles“ auf Platte. Der legendäre Outlaw Billy Joe Shaver schaffte es sogar zu einer namentlichen Erwähnung im Dylan-Song „I Feel A Change Comin On“: „I’m listening to Billy Joe Shaver and I’m reading James Joyce“. https://youtu.be/RY-JMGlPrNU Mehr Adel als dieser Vergleich ist für einen Autoren kaum denkbar.
Auf jeden Fall hat Shaver es besser getroffen als ein weiterer Texaner, Townes Van Zandt‘s Gitarrist Mickey White, den Dylan mal als Begleiter von Songwriter Mickey Clark live im Konzert erlebte und danach einen unvergesslichen, aber wenig schmeichelhaften Zweizeiler zum Besten gab. 1974 verriet er dem Rolling Stone, dass er sich die beiden als erste Künstler für sein (tatsächlich nie gestartetes) neues eigenes Label vorstellen könne: „A couple of guys in Chicago were good. Mickey Clark and another Mickey.” Another Mickey, das war dann auch der Titel von White‘s Autobiografie über seine Jahre mit Van Zandt.
Vor Ort war Dylan mit Live Performances oft präsent. Die Seite https://www.bobdylan.com/setlists/?location=21235 listet allein 18 Konzerte in Austin zwischen 1965 und 2015 auf, in Houston 15 Konzerte zwischen 1974 und 2015, in Dallas 13 Konzerte von 1965 bis 2008, 6 Konzerte in San Antonio, aber auch 1 Auftritt in New Braunfels, 2 in Lubbock und 3 in Corpus Christi sind dokumentiert. Herauszuheben ist dabei ebenso sein Auftritt beim berühmten Austin City Limits Festival im Jahr 2007 wie die Tatsache, dass er bei der legendären TV-Show Austin City Limits nie Gast sein durfte.
Dabei griff Dylan für seine Bands gern auf Musiker aus Texas zurück, insbesondere Denny Freeman und das ehemalige Wunderkind Charlie Sexton haben kräftige Spuren in seinem Werk hinterlassen. Auch die texanische Blues-Ikone Stevie Ray Vaughan und sein Bruder Jimmie wurde von Dylan für Gastauftritte rekrutiert (Under The Red Sky).
Am beeindruckendsten ist allerdings die Häufigkeit, mit der Bob Dylan über Texas singt. Man muss das wirklich mal so aufzählen: Texas wird genannt in den Songs:
Long Time Coming
When the night comes falling from the sky
Pretty Peggy O
Blind Willie McTell
Stuck Inside Of Mobile
Diamond Joe
Städte in Texas tauchen auf in
Murder Most Foul (Dallas)
If You Ever Go To Houston (Fort Worth, Dallas, Austin, San Antonio)
She‘s Your Lover Now (El Paso)
I‘ve Made Up My Mind (San Antonio)
Brownsville Girl (Corpus Christi, Amarillo, San Antonio)
Wanted Man (Abilene, El Paso)
Patty‘s Gone To Laredo
Brownsville Girl (San Antonio, Amarillo, Corpus Christi)
Zudem coverte er Songs wie „West Texas“ und „T For Texas“. Eine Liste, die vermutlich unvollständig ist. Damit nicht genug. In seiner Theme Time Radio Hour widmete er Folge 44 dem Bundesstaat Texas und packte dort von „Deep in The Heart Of Texas“ bis „Waltz Across Texas“ schamlos die einschlägigen Klassiker aus.
Neben dem Musiker gibt es dann auch noch den bildenden Künstler Bob Dylan. Nach all dem Vorhergesagten wird es nicht verwundern, dass sein auf 295 Exemplare limitierter Druck „Bandera, Texas“ mit einschlägigem Motiv: https://www.chelmerfineart.com/itemDetail.asp?work=20198 schnell ausverkauft war.
Zum Abschluss: Wer solcherlei erratisch gesammelten Bezügen zwischen His Bobness und dem Land, wo alles größer ist, etwas abgewinnen kann, wird sich aufs Beste in diesem Artikel in der Houston Press unterhalten fühlen: https://www.houstonpress.com/music/bob-dylans-texas-connections-run-deep-7401018
Texas hatte für Bob Dylan jedenfalls eine ebenso immense Bedeutung wie Dylan für Texas. Man kann dasselbe auch mal mit anderen Bundesstaaten versuchen, aber es wird weniger ergiebig sein. „Mann gibt nach 48 Jahren Dylan-Album an Bibliothek in Ohio zurück“ ging gerade durch die Medien, naja. Und „Highway 22 Revisited“, der Gewinner des Wyoming Short Film Festivals 2011, mündet nach langen sieben Minuten in der Erkenntnis, dass Dylan vermutlich doch nicht in der Stagecoach Bar in Wilson, WY gespielt hat. Wirklich, mit anderen Bundesstaaten ist das mühsam. Texas und Dylan, das ist die wahre Geschichte!
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[…] Original German version published in Key West – The Historical-Critical Bob Dylan Magazine (https://keywestmagazin.com/2021/08/13/bob-dylan-und-texas) […]
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