Point Blank: 100 neue Dylan-Zeichnungen in einem Band
von Thomas Waldherr
Bob Dylan hat neben dem Schreiben von Songs, Lyrik oder Prosa schon immer auch gezeichnet und gemalt. Und so hieß auch seine 1973 erschienene Sammlung seiner Songtexte von 1962 bis 1970 denn auch „Writings And Drawings“. Ausgewählte Zeichnungen standen neben seinen Lyrics. Doch erst viel später erfuhr Bob Dylan als bildender Künstler die Würdigung, die er verdient. Mit „The Drawn Blank Series“ präsentierten die Kunstsammlungen Chemnitz exklusiv von Oktober 2007 bis März 2008 die weltweit erste Museumsausstellung mit rund 140 Aquarellen und Gouachen von des Songwriter-Papstes. Dies war der Auftakt von einer ganzen Reihe von Ausstellungen mit Dylans Werken, die auch in einigen Bildbänden zu sehen sind. Soeben hat Dylan 100 bislang unveröffentlichte Zeichnungen aus den Jahren 2021/2022 in dem Bildband „Point Blank“ veröffentlicht.

„Der Picasso des Songs“
Zu sehen sind zwischen den Buchdeckeln Schwarz-Weiß-Zeichnungen: Porträts, Stilleben und Landschaften. Leonard Cohen bezeichnete Dylan einmal als „Picasso des Songs“. Und tatsächlich ist Bob Dylan als Songwriter kein ausgesprochener Storyteller, sondern eher ein Maler. Denn er versteht es, Wort-Bilder zu schaffen, die ganze Geschichten beinhalten. Manche Songs bestehen nur aus Geschichten, die nicht erzählt werden. Wie kein anderer gelingt es ihm Stimmungen, gesellschaftliche Situationen und menschliche Schicksale in Metaphern und Redewendungen zu gleiten, die zu geflügelten Worten werden, weil sie so treffen ihren Gegenstand beschreiben oder sollte man nicht besser „skizzieren“ sagen?
So ist „Blind Willie McTell“ weder eine Geschichte aus den US-Südstaaten noch gar die Geschichte der US-Südstaaten. Es ist ein monumentales Gemälde auf dem die Handlung an mehreren Schauplätzen spielt. Es ist ein großformatiges Bild des Südens mit Plantagen und Galanterie, Rassismus und Religion. Vom Zeltgottesdienst über die Minstrel Show bis zu Bootlegin‘ Whiskey und Blind Willie McTells Blues.
Und wer sein Trennungsalbum „Blood On The Tracks“ hört, der wird das durch Bildreichtum fasziniert, das Songs wie „You’re A Big Girl Now“ oder „Simple Twist Of Fate“ auszeichnet. „Like a Corkscrew in my heart“ oder „ And I’m back in the rain, oh, oh/ And you are on dry land” oder “He felt the heat of the night hit him like a freight train” – Dylans Lyrik findet immer neue Bilder für den Trennungsschmerz.
Unprätentiös und wenig spektakulär
Seine hier gesammelten Zeichnungen sind unprätentiöse Alltagsdarstellungen und wenig spektakulär. Ein paar Häuser mit Brücke, ein Blick aus dem Fenster oder Schienen mitten im Nowhere. Aber sie sind Immer geheimnisvoll. Genauso die zahlreichen Porträts. Wie aus und von dem Leben gezeichnet. Manchmal kraftvoll, manchmal zart. Dazwischen ein paar Stilleben von Töpfen oder Stiefeln.
Dylans Songs bestehen aus Bildern hinter denen Geschichten stecken. Dylans Bilder könnten zu Songtexten werden. Eddie Gorodetsky, Lucy Sante und Jackie Hamilton erzählen zu ausgewählten Bildern im Buch kurze Geschichten. Sie versuchen um die Personen und Landschaften herum, Geschichten zu stricken. Der Songwriter Bob Dylan würde aus so manchem diese Stoffe einen Song machen.
Und so manche Geschichte könnte von Dylan selbst sein. Denn der hier vorherrschende lakonische und manchmal böse Humor ähnelt dem Sound, den Dylan beispielsweise für seine „Philosophie des modernen Songs“ gefunden hat. Wer etwas mit dem Songwriter Bob Dylan anfangen kann, dem wird auch dieses Buch gefallen. Die Zeichnungen sind anregend, manchmal sogar anrührend. Denn Dylan der Zeichner hat Empathie für seine Motive. Er ist niemals voyeuristisch oder gar spekulativ. Er bildet die Menschen, die er porträtiert im Augenblick ab und lädt dazu ein, sich Gedanken zu machen.

Porträts „aus nächster Nähe“
Diese Bilder sind tatsächlich „aus nächster Nähe“ und „direkt“ gezeichnet wofür im Englischen die Bezeichnung „Point Blank steht. So wie er seine Songs nicht erklärt, überlässt er aber auch die Bildinterpretation den drei ausgewählten Schreibern. Einziges Manko dieses feinen Buchs. Man wünscht sich eine längere Einführung, die sich grundsätzlich mit Dylans als Songwriter und Zeichner beschäftigt. Wobei dies auch eine Stärke ist. So nimmt man die Bilder ohne Vorprägung wahr und lässt sie für sich stehen und beschäftigt sich eigenständig mit ihnen.
Bob Dylan: POINT BLANK (Quick Studies), Hoffmann & Campe 2025. – 200 S., 45 Euro.
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