ein Kommentar von Richard Limbert

am 1. April 2025 ist Michael Hurley im Alter von 83 Jahren verstorben.
Viele werden den Namen Michael Hurley noch nie gehört haben. Auch Key West-Leser*innen nicht. Hurley war einer von denen, die keinen so großen Namen haben und keine Alben in den Charts hatten. Nicht mal den Country-Charts. Eigentlich war Michael Hurley immer ein Outsider. Seit seinen ersten musikalischen Schritten (zumindest die, die aufgezeichnet sind) war immer etwas da, das nach Naivität, nach Phlegma, nach fast buddhistischer Einkehr klang. Seine ersten Aufnahmen (das Album First Songs) hat er 1963 gemacht. Sein Freund Frederic Ramsey Jr. hat eine alte Tonbandmaschine gestellt, auf der schon legendäre Leadbelly-Aufnahmen gemacht worden sind und Hurley spielte ganz langsam, ganz in sich ruhend, alleine mit seiner Gitarre seine Songs ein, die er vor allem an seine Kindheit im ländlichen Pennsylvania orientierte. Songs wie I Like My Wine könnten genau so gut an Ort und Stelle improvisierte Kinderlieder oder uralte Volksweisen sein. Es ist das in Musik gegossene Gefühl im hier und jetzt zu sein, zumindest irgendwie außhalb der Zeitrechnung. Das Album kam immerhin bei Folkways raus.
Michael Hurley hat im Laufe der Jahre immer wieder Alben rausgebracht. Sein nächstes Album sollte allerdings bis 1971 auf ich warten. Seit Kindheitstagen ist Michael Hurley mit dem späteren Sänger der Youngbloods, Jesse Colin Young, befreundet (der ironischerweise nur zwei Wochen vor Michael Huley verstarb). Der hat Michael Hurleys Musik immer unterstützt und war schließlich der Produzent seines Armchair Boogie Albums von 1971. Hier kann man schon sehen, wie sich Hurleys eigener Stil stärker herausschält. Hurley malt die Cover selbst und Cartoon-Wölfe im Stil der naiven Kunst oder der neuen Cartoon-Schule von Robert Crumb bevölkern seine drolligen Phantasiewelten auf den LP-Hüllen. Doch neben den bunten Farben und starken Linien sind die Themen teilweise auch etwas ruppig. Es sprüht den selbstgemachten Stil der 70er Jahre förmlich aus. Die Musik ist 1971 etwas weniger karg als auf First Songs aber sonst sehr ähnlich: naiv, neugierig, menschlich und persönlich. Hier einer der Songs, Be Kind to Me, das später von vielen gecovert werden sollte.
Und diesen Stil behält Michael Hurley. Er nimmt seit 1971 alle zwei bis vier Jahre neue Alben auf. Wenn die Klangqualität durch die Jahrzehnte nicht minimal gestiegen ist und sich die Stimme nicht etwas rauer mit den Jahren zeigen würde, könnte man durch den Klang allein nicht sagen, von welchem Jahr die einzelnen Aufnahmen sind. Michael Hurley hat ohne Gefühl von Dringlichkeit oder Verkaufszahlen sein Innerstes preisgegeben. Michael Hurley kam viel rum in seinem Leben, er ist viel per Anhalter gefahren und hat auf den vielen kleinen Bühnen der USA und anderswo gestanden und dabei viele Menschen eben sehr individuell inspiriert. Hier ist eine kleine Dokumentation von 2009 von einem Puppenspieler, der Michael Hurley durchs Trampen kennengelernt hat und ihm dabei seinen selbstgemachten Combucha verkauft hat. Michael Hurley hat ihn schlicht fasziniert. Und was kann man dazu noch sagen? Mich hat er ebenso in den Bann gezogen.
Wie kam ich zu Michael Hurley?
Als ich 2016 in New York und Boston war, um für meine Bachelorarbeit zu recherchieren, habe ich drei Tage beim Autoren Elijah Wald gelebt. Elijah hat mich damals nicht nur durch seine Ansichten zu Musikgeschichte geprägt, sondern konnte mir auch Tipps für etwaige Interviewpartner für meine Bachelorarbeit geben. Eine Person, die er mir damals vorschlug war Peter Stampfel. Der völlig durchgeknallte Folkmusiker ist eine Legende für sich (Dave van Ronk soll über Stampfel gesagt haben „Es ist mittlerweile klar, dass Peter Stampfel ein Genie ist. Wir müssen nur noch herausfinden in was.“) aber konnte ihm auch viel zu seinem Buch Dylan goes Electric! (das jetzt erst mit A Complete Unknown Oscarnominiert verfilmt worden ist) weiterhelfen, das Wald nur ein Jahr vorher veröffentlichte. Meinem Bachelorarbeitsthema zu Bob Dylans Ankunft in New York würde er so auch sicherlich anreichern können. Damals zeigte mir Elijah Wald unter anderem die Version von Goldfinger mit Peter Stampfel, nur mit Banjo und Tuba gespielt, die mir komplett das Hirn weggeblasen hat.
Ich habe Peter Stampfel nie angerufen. Aber der Eindruck blieb. Ich habe mir regelmäßig alles angehört, was ich in die Finger kriegen konnte auf dem Stampfel mitgespielt hat. Dabei war auch eine besondere Produktion: Have Moicy, eine Art Kollektiv-Album der Country- und Folk-Szene von Greenwich Village Mitte der 70er Jahre. Dieses Album ist ein Trip. Von Peter Stampfel, der in Hoodo Bash über eine Party mit singenden Bären und Südstaaten-Zauberern singt zu Jeffrey Frederick, der einen flotten Country-Song beisteuert, in dem sich eine Krähe und ein Feuer-Molch ziemlich in die Haare kriegen war vieles dabei. Dabei war auch ein besonderer Musiker: Michael Hurley. Der Sluf Song ist ein schunkelnder, schräger Song über ein gemeinsames Spaghetti-Essen mit Freunden und wie nervig es ist, danach abwaschen zu müssen. Vor allem blieb mir aber ein Song wieder und wieder und wieder im Kopf hängen: Sweet Lucy. Ich konnte über Monate nicht aufhören diesen Song zu hören. Für mich klang der Track einfach so, wie alles, das ich machen wollte, wie ich klingen wollte, wie ich leben wollte. Der Text ist eine seltsame Reise, die bei der eigenen Ehefrau beginnt, die weinend den Berg hochläuft, weil sie zu besoffen ist. Da wird das lyrische Ich dann in den Knast gesteckt und bekommt einen Anruf von der Mutter, die sagt dass sie leider pleite ist. Dann streiten sich zwei Freunde in einer Bar und der eine mit 150 kg fällt auf den anderen als sie im Faustkampf die Jukebox zerschmettern. Es hört einfach nicht auf. Es ist wie ein Wimmelbild von Ali Mitgutsch. Alles irgendwie einfach und nett, aber auch traurig, tief und pragmatisch. Ich erinnere mich, dass ich in dieser Zeit gerade in einer schwierigen Lage im Leben war. Nach dem Bachelorstudium wusste ich nicht recht, wie es weitergehen soll. Dazu wurde mir gerade das Kindergeld gekappt und ich musste meine Krankenkasse selbst bezahlen. Irgendwie war alles so kompliziert. Ich habe angefangen täglich Sport zu machen und mit dem Rauchen aufgehört. Für mich war die Musik von Michael Hurley nur ein weiterer Schritt mein Leben klarer, einfacher und verständlicher zu machen. Nichts wollte ich in dieser Zeit weniger hören als King Crimson.
Ich erinnere mich daran, wie ich durch das herbstliche Möckern im Norden von Leipzig gelaufen bin. Spätabends und es war schon stockfinster. Ich habe mir gerade via Ebay Kleinanzeigen ein paar Hanteln abgeholt, mit den ich jetzt trainieren kann. 10 kg pro Stück. Das hat meinen Rücksack fast in zwei gerissen. Das war im November 2016. Ich konnte auf dem Weg über die Georg-Schuhmann-Straße nicht aufhören Sweet Lucy zu summen, es auf meinem MP3-Player zu hören und darüber nachzudenken. Mit Hilfe dieser Hanteln sollte ich bis Juni 2017 26KG verlieren.
Seitdem hat Michael Hurley mich begleitet. Für mich schafft er einfach ein Hier-sein. Ich fühle keine Schnörkel oder Maske wenn ich ihn hören. Es gibt da einfach nichts, was nicht passt oder zu viel ist. Sehr passend finde ich hier auch den Clip in dem er 2016 beim Pickathon Festival in Oregon gemeinsam mit den Sängerinnen von My Bubba seinen Song O My Stars singt:
In Oregon hat Michael Hurley übrigens seinen Lebensabend verbracht. Ganz idyllisch auf einer Farm. Ich habe immer gehofft, dass er mal nach Deutschland kommt. Einige Videos auf YouTube zeigen, dass er wohl im Frühjahr 2012 mal in Köln im King Georg gespielt hat. Verdammt! Da habe ich doch noch im Rheinland bei meinen Eltern gewohnt. Ich hätte ihn sehen können. Im April 2012 habe ich gerade meine Abi-Klausuren in Sankt Augustin geschrieben. Nur 29 Kilometer entfernt.
Es gibt Autoren, die schreiben so, dass ich mir bei jedem einzelnen Buch nichts anderes vorstellen kann, als dass das alles dem Autoren genau so im Leben selbst passiert ist. Charles Bukowski ist zum Beispiel so einer. Und so sehe ich auch Michael Hurley. Es gibt da keine Trennwand zwischen dem Musiker, dem Maler und dem Menschen Michael Hurley. Michael Hurley ist einfach. Ohne Michael Hurley wird es niemanden geben, der genau das so tut. Es gibt für mich verschiedene Arten von Vorbildern. Ich erinnere mich daran, wie ich mit 12 ein Beatles-Fan geworden bin. Die haben mir gezeigt, wie schön Musik an sich sein kann. Mit 14 wurde ich dann Simon & Garfunkel-Fan, die mir gezeigt haben, was Folk Musik ist und wie man nur mit Akustikgitarre tolle Songs schreiben kann. Mit 16 bin ich Bob Dylan-Fan geworden, der mich eigentlich erst gekriegt hat, als ich entdeckt habe, wie er seine Songs live abändert und wie geil es sein kann, einen Song live im Augenblick zu spielen. Es gibt eben gerade in der Musik Menschen, die dir zeigen, was du spielst, es gibt die Menschen und es gibt welche, die dir zeigen wie du spielst. Und ganz selten und ganz wichtig: es gibt Menschen, die dir zeigen warum du spielst. Und Michael Hurley ist einer dieser Musiker, die mir zeigen, warum ich das eigentlich mache, was ich mache, wenn ich Musik mache.
Die Frage für mich ist in diesem Kontext: wenn du Musik machst und keiner ist da um sie zu hören, ist das dann schon Kunst? Ich glaube die Musik von Michael Hurley ist die einzige Musik, die Kunst ist, ohne dass sie jemand hört. Wenn sie einfach da ist, ist das schon genug.