„You Break Just Like A Little Girl”- Bob Dylans Anti-Love Songs

von Thomas Waldherr

In der zeitgenössischen Dylan-Rezeption wird seit geraumer Zeit immer wieder einmal dem Songwriterpapst und Literatur-Nobelpreisträger eine gewisse Misogynie, vulgo Frauenfeindlichkeit, vorgeworfen. Besonders an zwei Bereichen seines Riesenwerkes versucht man dies zu belegen. Bei seiner 2022 erschienenen „Philosophie Des Modernen Songs“ stößt man sich daran, dass der größte Teil der von ihm besprochenen Stücke von männlichen Interpreten gesungen bzw. von aus männlicher Feder stammen. Und bei seinen legendären „Anti-Love Songs“ – ein Genre, das er quasi erfunden hat – hat man Hatespeech und übelstes anachronistisches, männliches Rollenverständnis entdeckt. Dem wollen wir uns hier stellen und insbesondere seine „Anti-Love Song“ auf diese Vorwürfe abklopfen.

(Quelle: Columbia Records)

Die Philosophie Des Modernen Songs

Zu „Die Philosophie Des Modernen Songs“. Wie immer bei Dylan liebt er auch hier die Uneindeutigkeit. Und die lässt uns viel tiefer über die Dinge nachdenken als jede Eindeutigkeit. Indem er ausführlich sich mit der Figur der „Frau als Teufel“ in Popsongs beschäftigt, dann ist es zu kurz gedacht, ihn auch als Verfechter dieser Denkfigur zu entlarven. Eher zeichnet er ein ganz realistisches Bild der Popmusik dieser Zeit. Also vor allem auch der Zeit seiner Jugend von den 1940ern bis zu den frühen 1960ern. Genauso ist auch die überwiegende Zahl von männlichen Protagonisten der Songs zu verstehen. Dylan ist ein Kind seiner Zeit und diese Songs prägten ihn. Es ist seine subjektive Auswahl. Dass dann bei ihm in Kontext und Subtext der Songs viel mehr von Frauen zu lesen ist, sagt sowohl über die damaligen gesellschaftlichen Machtverhältnisse und der Rolle der Frau darin, als auch über ihn etwas aus. Dylan zeichnet das Bild des modernen Popsongs, so wie es sich mit ihm über die Jahrzehnte entwickelt hat. Nicht so, wie man es sich von heute aus wünscht.

Exkurs: Der Fortschritt in der Geschichte ist immer historisch-politisch und nicht nur moralisch zu bewerten

Diese Art, an die Dinge heranzugehen, indem man sie ausschließlich vom heutigen Standard der Errungenschaften und Werten aus beurteilt und zu bewertet, verhindert das Erkennen der Entwicklung gesellschaftlichen Fortschritts. Zurückliegende politische Aktivitäten und menschliches Verhalten alleine moralisch absolut zu beurteilen, ohne den damaligen gesellschaftlichen Entwicklungsstand sowie Rahmenbedingungen und Machtverhältnisse zu beachten, erschwert das Ringen um weitere Fortschritte, weil es die Dialektik von Weg und Ziel nicht versteht und die Menschen eher teilt, als sie zusammenführt. In der Roosevelt-Koalition der USA in den 1930er und 1940er Jahren waren weiße Südstaatler und Schwarze vereint. Roosevelt hatte ein schwarzes Schattenkabinett von dem er sich zur Lage der Afroamerikaner:innen beraten ließ und doch ging er nicht systematisch und offensiv gegen die Rassentrennung vor, weil er für seine New Deal-Politik auch die Stimmen der weißen Südstaaten-Demokraten brauchte. Und trotzdem war seine Präsidentschaft ein wichtiger Fortschritt im Hinblick auf den Umgang mit der afroamerikanischen Community in den USA. Ihn von heute aus als Rassisten zu bezeichnen wäre absurd.

Heute will man bestimmte Werte und gesellschaftliche Veränderungen durchsetzen, ohne dafür die Anstrengung der Überzeugung zu leisten. Man blickt nicht auf historische Entwicklungen, sondern bewertet allein moralisch. Man hält Transparente hoch und zieht Gräben und Mauern: Und man will keine Zeugnisse der Vergangenheit, da die Vergangenheit ja falsch war.

Diese verkürzte Sichtweise feiert dann fröhliche und absurde Urstände, wenn darüber diskutiert wird, in der Bildung beispielsweise auf drastische Gewaltdarstellungen zu verzichten, weil Gewalt verstörend wirken und eine Reproduzierung von Gewalt, wiederum Gewalt fördern könnten. Man distanziert sich von Gewalt, indem sie nicht mehr sichtbar sein soll. Anstatt sie sichtbar zu machen und sie zu erklären. Dann ist es auf kurz oder lang nicht mehr so weit bis zur Leugnung der früheren Gewalt. Da sind wir in den USA unserer Tage bereits angekommen, siehe Debatten über Bücher und Schulinhalte zur Sklaverei. Falsch verstandene und gemachte „woke“ und rechte Politik sind sich hier manchmal erstaunlich nahe.

Dylans Anti-Love Songs – misogyn?

In solch aktuellen Debatten ist man dann auch angelangt, wenn man Dylans Anti-Love Songs als misogyn abstempeln will. Im Gegensatz zu vielen frühen Rock’n’Rollern und auch den späteren Rockern hatte Dylan immer Beziehungen zu Partnerinnen auf Augenhöre. Ob Echo Helstrom, Bonnie Beecher, Suze Rotolo, Joan Baez oder auch Sara Lowndes. Keine minderjährigen Cousinen oder austauschbaren Models. Er suchte immer auch in Beziehungen nach intellektuellen Herausforderungen. Doch so aufgeklärt und partnerschaftlich er sich in einer Beziehung verhielt, wenn es gut lief, so böse und gnadenlos konnte er auch gegenüber den Verflossenen nachtreten. Vier Beispiele wollen wir hier exemplarisch besprechen.

Don’t Think Twice, It’s Alright

Hier geht es um das Ende einer Beziehung. Wenn sich zwei Menschen nicht mehr lieben, dann kann es unschön werden. Egal welches Geschlecht die beiden Partner:innen haben. Dann wird auch schon mal schmutzige Wäsche gewaschen. Und bei solchen Auseinandersetzungen dem Partner vorzuwerfen, unerwachsen zu sein, ist auch nichts neues. So what?

(Quelle: Columbia Records)

I’m a-thinking and a-wonderin‘ walking down the road/ I once loved a woman, a child, I’m told/ I give her my heart but she wanted my soul/ But don’t think twice, it’s all right

Zweite böse Stelle:

I ain’t a-saying you treated me unkind/ You could’ve done better but I don’t mind/ You just kinda wasted my precious time/ But don’t think twice, it’s all right

Dylan ist, wenn er sauer ist, böse und gnadenlos. Und müssen zu der Zeit nicht nur Frauen erfahren, sondern seine gesamte Umwelt. Siehe auch „Positively Fourth Street“. Hier rechnet er mit dem gesamten Viertel ab.

Fazit:Der Song taugt nicht für Misogynie-Vorwürfe.

I Don’t Believe You

I’m leavin’ today/ I’ll be on my way/ Of this I can’t say very much/ But if you want me to/ I can be just like you/ An’ pretend that we never have touched/ An’ if anybody asks me/ “Is it easy to forget?”/ I’ll say, “It’s easily done/ You just pick anyone/ An’ pretend that you never have met!”

Hier geht es um jemand, der nach einer (?) Nacht schon Schluss macht. Dylan prangert hier geschlechterunabhängig Fehlverhalten an.

Fazit: Wieso frauenfeindlich?

Just Like A Woman

Der vielleicht in Hinsicht auf das Frauenbild Dylans umstrittenste Song. Der Song wird von verschiedenen Seiten als frauenfeindlich eingestuft.

Die Steine des Anstoßes:

She takes just like a woman, yes, she does/ She makes love just like a woman, yes, she does/ And she aches just like a woman/ But she breaks just like a little girl

Ah, you fake just like a woman, yes, you do/ You make love just like a woman, yes, you do/ Then you ache just like a woman/ But you break just like a little girl

Dylan macht die Frau nieder, sie bricht wie ein kleines Mädchen. Das hatten wir schon bei „Don’t Think Twice“. Dieser Refrain ist so böse, weil er mit Stereotypen spielt: „Sie nimmt wie eine Frau“ und „Sie täuscht vor wie eine Frau“. Doch dabei geht es nicht um eine allgemeine Beschimpfung der Frauen an sich, sondern um eine Frau, die die vielleicht doch noch nicht so richtig erwachsen ist und der Sänger deshalb davon absieht wirklich eine Beziehung mit ihr einzugehen. Es handelt sich also bei diesem Song vielmehr um einen Song, der mit zugewiesenen Geschlechterrollen und -eigenschaften spielt. Mehr noch: Sie werden auch in der Form hinterfragt, dass sich auch weibliche Individuen durchaus stereotyp verhalten, weil sie so sein wollen, wie es die Gesellschaft von ihnen erwartet.

Fazit: Stereotype werden eingesetzt, um das Verhalten einer bestimmten Frau zu charakterisieren. Per se frauenfeindlich wird Dylan auch hier nicht.

Merke: Dylan ist im Verhältnis zu Frauen ein Kind seines Milieus seiner Zeit. In der Sphäre der Studenten und Künstler war das Rollenverständnis der damaligen Zeit- also der 1960er – fortschrittlicher als im Rest der Gesellschaft. Dass er trotzdem schon mal chauvinistische Anwandlungen hat, er aber viel öfters Frauen wie gleichrangige Partner behandelt, romantisiert oder gar vergöttert, dann lässt sich hier keine grundsätzliche Frauenfeindlichkeit unterstellen. Gerade wenn man bedenkt, dass gerade „Just Like A Woman“ von so starken wie unterschiedlichen weiblichen Künstlerpersönlichkeiten wie Nina Simone, Judy Collins, Roberta Flack oder Carly Simon aufgenommen wurde.

New Pony

Das Lied, in dem sich Dylan wohl am rüpeligsten und bösesten gegenüber einer Frau verhält. Und auch derb unter die Gürtellinie zielt.

“I had a pony/ Her name was Lucifer (How much longer?) (How much longer?)/ I had a pony/ Her name was Lucifer/ (How much longer?)/ She broke her leg and needed shooting/ I swear it hurt me more than it could’ve hurted her”

Und:

“Come over here, pony/ I wanna climb up one time on you (How much longer?) Well/ Come over here, pony/ I wanna climb up one time on you (How much longer?)/ You know so nasty and you’re so bad/ But I said I love you, yes I do (How much, how much?) (How much longer?) (How much, how much, how much longer?)”

In der Tat, irgendwie ist der Dylan dieser Phase schlecht gelaunt und unter Stress. Eine kaputte Ehe, zu viele ungeklärte Liebschaften auf einmal. Da platzt es aus ihm heraus. Und dann- so typisch Dylan – nimmt er sich einfach Zeilen und Bilder, die in den archaischen Blues-Songs schon immer vorkommen. Denn die waren teilweise voller problematischer Frauenbilder. Auch hier gilt: Dylan leistet sich hier einen derben Ausfall, aber dieser ist inmitten eines Riesenwerkes zu sehen, das nicht in systemischer, grundlegender Weise frauenfeindlich ist. Noch einmal: Einem 83-jährigen, der in den 1940er bis 1960er Jahren aufgewachsen ist und bis heute eine Stimme des progressiven Amerikas ist, jetzt rückwirkend Frauenfeindlichkeit vorzuwerfen, ihn deswegen anklagen zu wollen, ist absurd und unhistorisch.

(Quelle: Columbia Records)

Dylan taugt nicht zu einem Frauenfeind

Kommen wir zum Schluss: Bob Dylan ist der Meister der Uneindeutigkeit, des in Fragestellens und des Zweifels. Genauso müssen wir auch seine bösen Anti-Love Songs einordnen. Sie kritisieren stereotype Verhaltensweisen von Männern genauso wie von Frauen, weil Dylan ein Nonkonformist ist. Für einen Frauenfeind taugt er nichts, auch wenn er nicht davor zurückschreckt auch gegen Frauen böse, rücksichtslos und auch hin und wieder unter der Gürtellinie („New Pony“) auszuteilen.

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