Am 1979 erschienenen Album „Bob Dylan at Budokan“ scheiden sich bis heute die (Fan)Geister. Dabei war „Budokan“ genau die Musik und das Album, das zur damaligen Situation Bob Dylans am besten passte und bis heute kongeniale Versionen seiner Songperlen bietet. Eine Begründung.
von Thomas Waldherr
Als im April 1979 dann endlich auch hierzulande das Japan-Tour-Souvenir-Album „Bob Dylan At Budokan“ erschien, war das Gezetere groß: Zu glattpoliert, zu viel Big Band-Sound; zu viel Girls im Hintergrund und und und. Tatsächlich war es ja gerade mal ein dreiviertel Jahr her, dass sich in das Konzert Dylans in Dortmund unter Jubel auch Pfiffe mischten, und er beim Berliner Konzert rigoros ausgebuht wurde. Sogar Wurfgeschosse landeten in Berlin auf der Bühne, wie es Liederschmitt in seiner Dylan-Biographie „Halb & Halb“ damals beschrieb. Und das alles, weil der 37-jährige Dylan nicht mehr den 22-jährigen Dylan imitieren wollte. Erst in Nürnberg, ohne Glitzeranzug, in einer besonderen Location und etwas rougher im ganzen Auftritt gefiel den Deutschen „ihr“ Dylan.

(Albumcover, Quelle: SONY Music)
Doch der Beginn der Welttournee 1978 in Japan, da waren sich viele Dylan-Puristen einig, war minderwertig gegen die späteren Konzerte in Europa und Amerika. Doch ich meine: weit gefehlt! Budokan war die Basis, der Ausgangspunkt, die Essenz von aller Musik, die später noch kommen sollte. Es war der Ausdruck seines künstlerischen Konzeptes, das das ganze Jahr 1978 tragen sollte.

(Cover des Live-Albums von 1979, Quelle: SONY Music)
Persönliche Hintergründe
1977 war künstlerisch für Dylan eine Jahr Year off. Pause. Er war mit der Scheidung von Sara beschäftigt. Einzig und allein als Hintergrundsänger für Leonard Cohens Album „Death of a Ladies’ Man“ ist Dylan in diesem Jahr öffentlich musikalisch aktiv.
Hinter ihm liegen seit 1973 intensive künstlerische Jahre, in denen er erstmals seit 1966 wieder auf große Tour geht und seinen Lebensmittelpunkt wieder nach New York ins Greenwich Village legt. Er taucht so richtig ein ins unbeschwerte Künstlerleben dort. Er streift durch die Clubs und entdeckt alte Freunde – Ramblin‘ Jack Elliott – und neue Apologeten – Patti Smith – und ist nahbar wie seit den frühen 1960ern nicht mehr. Auch das Konzept der Rolling Thunder Review ist ein nahbares. Er ist gesellig wie selten und auch gegenüber dem Publikum fast schon verstörend verbindlich. Das funktioniert in den Gemeindesälen des ersten Tour-Abschnitts wunderbar, doch im zweiten Tour-Abschnitt beginnt er schon mit dem Konzept zu fremdeln. Er passt nicht mehr zum Tourkonzept und das Tourkonzept passt nicht mehr zu den Baseball- und Footballstadion des mittleren Westens. Die triumphal gestartete RTR versandet irgendwo im Heartland.
Was man von Dylan im Jahr 1977 hört, hat mit seinem privaten Trennungsdrama zu tun und als er dann endlich von Sara geschieden ist – noch dazu hatte im November 1976 „The Band“ ihr Abschiedskonzert gegeben – ist ein Lebensabschnitt zu Ende und Dylan bereit für etwas Neues. Jetzt musste was künstlerisch anderes kommen. Und seine Scheidung war kostspielig. Auch finanzielle Gründe führten zur Welttournee, als deren Hauptpromoter er Jerry Weintraub engagierte, der auch schon Elvis Presley und Neil Diamond betreut hatte.
Gesellschaftliche Hintergründe
Dylans Scheidungsjahr 1977 war auch ein Jahr, in dem gesellschaftliche Weichenstellungen vollzogen wurden. 1977 übernimmt Bob Dylans Freund Jimmy Carter die Präsidentschaft. Mit einiger Verzögerung hat die fortschrittliche Entwicklung der USA seit Mitte der 1960er Jahre nun auch ihre formale politische Entsprechung gefunden. Doch von Anfang an zeigt sich: Diese Präsidentschaft steht unter keinem guten Stern und die Konservativen haben längst schon wieder Strategien entwickelt, sich ihre gesellschaftliche und politische Macht zurückzuholen.
Just in diesem Jahr gründet der fundamentalistische Evangelikale Dr. James Dobson die Organisation „Focus on the Family“, die eine der Grundlagen des bis heute andauernden und sich immer weiter zuspitzenden Kulturkampfes in den USA ist. Ebenfalls 1977 legt ein Stromausfall New Ýork für 25 Stunden lahm und sorgt für Unruhen und Plünderungen und legt damit den Fokus auf die ungelösten sozialen Konflikte, die Kriminalität, die Drogenproblematik und die Rassenfrage im Big Apple und auch den anderen Metropolen im restlichen liberalen Nordosten der USA.
Gleichzeitig führen Energie- und Wirtschaftskrise in den USA zu großen Verwerfungen. Die Krise trifft vor allem das Schwerindustrierevier in den Staaten Pennsylvania, Ohio, West Virginia, Indiana und Michigan, den sogenannten Rust Belt. Soziale Konflikte führten zu ethnisch motivierten Unruhen. Die konservativen Strategen haben jetzt ihre Themen: Christliches Familienbild, Law und Order und das als Kampf gegen Drogenkriminalität maskierte Feldzug gegen die gesellschaftlichen Gleichstellung der afroamerikanischen Community.
Die amerikanischen Sixties-Träume sind ausgeträumt. Die kapitalistische, korporatistische US-Gesellschaft ist resilienter gegenüber dem Veränderungswillen als gedacht. Zwar musste Nixon zurücktreten, zwar wurde Carter gewählt. Das linke und liberale Amerika aber wirkt seltsam ausgepowert. Viele flüchten in die Institutionen, andere in politische oder religiöse Sekten. Werden zu Bagwhan-Jüngern und Jesus-People. Und die Musik wird dementsprechend hübsch, aber unverbindlich.
Musikalische Hintergründe
Also, in welche musikalische Richtung sollte es jetzt bei Dylan gehen? 1977 waren für die Popmusik wichtige und erfolgreiche Platten erschienen: Fleetwood Mac vollzogen mit „Rumours“ auf ihre Art und Weise den Abschied von der Hippie-Ära. Die Sex Pistols veröffentlichten das Punk-Manifest „Never Mind The Bullocks, Here’s The Sex Pistols“. Bob Marley brachte mit „Exodus“ eines seiner bedeutendsten Werke heraus. Die Eagles waren mit ihrem eingängigen Country-Pop-Rock-Song „Hotel California“ erfolgreich und Queen wurden zu den Königen des Bombast-Rock. Pink Floyd veröffentlichten „Animals“ und Supertramp setzten mit „Even in The Quiet Moments“ ihre aufstrebende Karriere des eingängigen, gepflegten Pop-Rock fort.
Und Elvis Presley war gestorben.
Von alledem finden wir etwas auf den Budokan-Aufnahmen. Dylans Musik ist nun nicht mehr einfach im Folk-Rock-Stil gehalten, sondern ganz sophisticated im Big Band-Stil arrangiert. Er zieht sich einen Elvis-Glitzeranzug und spielt Reggae-Versionen seiner Songs. Seine neue Musik, seine neuen Arrangements auf die er sehr stolz ist, geben dem nach der Scheidung erschütterten Dylan die Möglichkeit zur maximalen Distanz. Zu sich selbst, zu seiner Musik, zu seinem Publikum. Die Welttournee 1978 wird zu einer Superstar-Nummer. Seit Mitte Januar – seit den Tourproben in Santa Monica – hat er zudem ein enges Verhältnis mit einer seiner Background-Sängerinnen, der Afroamerikanerin Helena Springs, mit der er in den nächsten Wochen einige Songs schreiben wird und von der wohl sein in den nächsten Monaten immer größer werdendes Interesse an der afroamerikanischen Kultur geweckt wird.

(Titelliste des Budokan-Albums, Quelle: SONY Music)
Bob Dylan At Budokan
Die Platte ist ein Mix der Konzerte Nummer vier und fünf von acht Auftritten in Tokyo. Sie wird eingeleitet mit einem Gitarren-Vorspiel, das in eine unwiderstehlich-beschwingte Fassung von Mr. Tambourine Man mündet, die durch ein schönes Flötenspiel gekennzeichnet ist. Dylan, der Rattenfänger? Wie auch immer, die Platte hat den Schreiber dieser Zeilen jedenfalls bis heute geflashed. „Shelter From The Storm“ als echtes Klagelied. Die fremde und geheimnisvoll klingende Version von „Oh, Sister“. Die Reggae-Versionen von „Don’t Think Twice“ und „Knockin‘ On Heaven’s Door“. Dazu unglaublich schöne Fassungen von „Love Minus Zero“, „Just Like A Women“ und „Maggies Farm“. Die Musik bietet gute Unterhaltung, ist für Dylans Verhältnisse ausgesprochen perfekt. Am Ende dann eine pathetisch-distanzierte Bombast-Fassung von „The Times They Are-Changin‘“. Die Platte bot alles für Herz, Seele, Kopf und Bauch.
The Complete Budokan – das Album
Schon der Anfang ist atemberaubend. Die Band darf alles zeigen, alles aus sich herausholen, wenn „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ als Instrumental den Anfangspunkt setzt. Und das ist natürlich programmatisch zu verstehen. Dylan ist hier ganz Unterhalter und Entertainer. Das allzu lange Songgedicht passt da nicht ins Konzept. Der „Repossession Blues“, geschrieben von der Sun Studio-Legende Roland Janes, schon eher. Schließlich fühlte sich Dylan da irgendwie wie der Typ im Song, der alles verliert, dem alles genommen wurde. Doch dann kommt die uns schon bekannte Tambourine Man-Fassung und wir suchen uns die Songs raus, die nicht auf der „Original Budokan“ waren. Dylan singt ein sehr melancholisch-traurig-verbittertes „I Threw It All Away“. Wunderschön dann „Girl From The North Country“. Auch dies sehr langsam, sehr melancholisch im Vortrag. Ganz fein auch die Fassung von „To Ramona“. Mit druckvollem Saxophon-Spiel.
Nächstes noch nicht bekannte Budokan-Fassung ist „One Of Us Must Know (Sooner Or Later)“. Eigentlich nur ein Nebenwerk, passt es Dylan hier inhaltlich bestens ins Zeug und geht musikalisch richtig gut ab. Dann wieder ein Abschiedssong. „You’re A Big Girl Now“ ist mit viel Soul arrangiert. Ganz nett, aber die beste und berührendste Version des Songs ist immer noch die von „Hard Rain“. „Like a corkscreeeew in my heart“.
Auch „Tomorrow Is A Long Time“ ist eher solide, das schöne an der Melodie geht hier leider etwas verloren. Richtige Entscheidung, es damals nicht auf die Platte zu nehmen. Interessant dann seine Bandvorstellung. Tatsächlich spricht er ganz selbstbewusst von „Orchestra“ und stellt seine Bandmitglieder zum Teil mit – wie heutzutage wieder – kleinen Witzchen vor und seine Sängerinnen benennt er da kurzerhand als „Ex-Frau“ oder seine „Verlobte“. „Love Her With A Feeling“, den alten Bluessong von Tampa Red, singt er mit voller Hingabe. „Love her with a feeling or don‘ lover her at all“. Auch so eine Selbsterkenntnis für den Dylan der damaligen Zeit.
Musikalisch und klanglich großartig
„I Don‘ Believe You (She acts like we never have met)“ ist dann der nächste persönliche Klagesong. Man merkt ihm an, dieses Abarbeiten an der Scheidung bildet neben dem vollen Big Band Sound und dem Entertainment die dritte Konzeptsäule dieser Konzerte. Letzter musikalischer Selbsterkenntnistrip dieses Albums ist dann „The Man In Me“. Eine schöne, nachdenkliche, aber kraftvolle Fassung.

(Komplettes Box-Set, Quelle: SONY Music)
Musikalisch und klanglich ist „The Complete Budokan“ großartig. Von 58 Tracks sind zwei Songs solide, alles andere outstanding, besser geht es kaum. Die damaligen Arrangements haben erstmals deutlich gemacht welch ein toller Arrangeur er ist und bis heute verändert er seine Songs nach seinem Gusto wie er will.
Opulente Musik – opulente Ausstattung
Zu dieser opulenten Musik passt die opulente Ausstattung: Kenntnisreiche Liner Notes des japanischen Dylan-Fans Heckel Sugano im schön gestylten Begleitbuches und einige Memorabilia, bei dem man sich in die damalige Zeit zurückversetzt fühlt. Als damals Fünfzehnjähriger hängte ich mir das Original Budokan-Poster ins Zimmer. Es schlummert auch heute noch in irgendeiner Plakatrolle.

(Poster zu Dylan in Budokan, Quelle: SONY Music)
Ich freue mich über diese Veröffentlichung, die wahrscheinlich wieder eine dieser Dylan-Volten ist. Die einen hätten lieber das Blackbush-Concert offiziell veröffentlicht gesehen, die anderen den Nürnberger Auftritt. Das wir stattdessen Budokan bekommen macht mich froh. Ein unterschätztes Album bekommt nun endlich den Auftritt und die Resonanz, die es verdient.
[…] The Complete Budokan – Rehabilitierung eines unterschätzten Albums […]
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Danke Thomas! Ich gehöre zu den Menschen, denen das Budokan Album nie wirklich gefallen hat. Ich kann es nicht wirklich begründen (so ist das häufig mit Geschmack). Auch dein historischer Ausflug in die Mitte der siebziger Jahre der USA hat an dem Status wenig verändert. Deinem Schluss:, „Die Platte bot alles für Herz, Seele, Kopf und Bauch“ kann ich nicht zustimmen, weil drei der vier Organe die Folgschaft verweigern. Aus diesem Grund habe ich auf den Kauf des soeben erschienenen Albums bisher verzichtet und begnüge mich vorerst mit dem mp3 Download. Das zehnfache können die Fotos im CD-Booklet nicht wirklich wert sein und der Sound kommt sowieso am besten von der Platte rüber. Also: schauen wir mal. LG Heiko
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Lieber Heiko, Geschmäcker sind tatsächlich verschieden. Und Dylan wäre nicht Dylan, wenn immer alle alles von ihm gut fänden. Danke für Deinen Kommentar!
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