Der Hamburger Senator für Kultur und Medien Carsten Brosda im Gespräch mit Key West über Narrativ, Assoziation und Identifikation bei Bob Dylan – Teil 1
von Thomas Waldherr
Der Sozialdemokrat Dr. Carsten Brosda ist seit 2017 Hamburger Senator für Kultur und Medien, seit 2020 Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Er hat mehrere Bücher zu politisch-gesellschaftlichen Themen veröffentlicht und ist bekannt für sein Faible für die amerikanische Populärmusik. In Hamburg legendär sind seine öffentlichen Plattenabende mit Rainer Moritz, dem Leiter des Hamburger Literaturhauses und bekennenden Schlager-Fan, unter dem Motto „Country vs. Schlager“. In seinem neuen Buch „Mehr Zuversicht wagen“ macht sich Brosda stark für positive politische Narrative als notwendiges Mittel erfolgversprechender progressiver Politik. Diese verschränkt er mit Narrativen aus der amerikanischen Rockmusik von Bruce Springsteen oder Bob Dylan. Thomas Waldherr sprach für Key West mit Carsten Brosda darüber, welche Bedeutung Bob Dylan für ihn hat und für welche Song-Narrative dieser steht.

Key West: Was war denn Ihr Bob Dylan-Moment?
CARSTEN BROSDA: Da fällt mir zuerst ein Konzert vor der Zitadelle in Berlin-Spandau vor einigen Jahren ein, als Dylan mittlerweile komplett am Keyboard saß und sehr viel Spaß dabei hatte, seine Band aus dem Konzept zu bringen. Das war teilweise ziemlich schräg und oft urkomisch. Aber das macht für mich auch einen Teil des Phänomens Dylan aus: Er schert sich nicht um die Reaktionen, sondern macht das, was er will.
Aber Sie sind Dylans Werk sicher schon früher begegnet, welchen Eindruck hat das auf Sie hinterlassen?
BROSDA: Bei Dylan fand ich immer die Vielschichtigkeit so spannend. Auch viele Feuilleton-Porträts setzen sich immer mit den vielen Masken des Bob Dylan auseinander. Das finde ich sehr treffend, weil er ja eigentlich auch immer wieder Haken geschlagen und verschiedene Phasen gehabt hat. Erst sang er Folksongs und Protestsongs, dann war er plötzlich alle paar Jahre ganz woanders. Seine Songs sind mir am Anfang oft als Cover-Versionen ganz anderer Künstler begegnet. Und irgendwann merkt man beim Musikhören immer wieder, das ist ja auch von Dylan. Ich kann also sagen, seit ich aktiv Musik höre, spielt Bob Dylan eine Rolle und irgendwann habe ich angefangen, mich in dieses Werk zu vertiefen und habe dann Menschen getroffen, die noch viel tiefer in seiner Musik drinstecken. Ein paar meiner Freunde sind das, was man Dylanologen nennt. So weit habe ich es nie geschafft, aber ich habe von deren Wissen sehr profitiert. Ich finde, dass er auch gerade textlich etwas geschaffen hat, was bleibt. Die Texte waren wahrscheinlich das Erste, was mich an Dylan begeistert hat. Dann kamen die Melodien dazu und ich habe relativ spät begriffen, was für ein grandioser Gitarrist er sein kann. Bei seinen Konzerten habe ich gemerkt, dass bei seinen Soli so viel rhythmische Qualität drinsteckt, auch wenn er scheinbar nur auf einem Ton rumhackt . Das finde ich beeindruckend. –Wenn dann auch noch jemand wie Charlie Sexton daneben auf der Bühne stand – hat das schon sehr viel Spaß gemacht.
Natürlich ist Dylan dabei schmerzfrei. Er weiß natürlich, dass Charlie Sexton nach den herkömmlichen Hörgewohnheiten der virtuosere Gitarrist ist. Ich habe ihn mal so in Stuttgart spielen sehen, wie er auf diesen ein, zwei, drei Tönen die Gitarrensoli ausgespielt hat, das war so beseelt, das klang richtig gut…
BROSDA: …Ja, man merkt, da schafft es jemand, eine Songstruktur auf die Essenz zu verdichten. Clapton hat ja mal gesagt, bevor er etwas abgedreht ist, er suche in seinen Soli immer den einen Ton, auf den er dann alles verdichten kann. Das macht Dylan auch, aber er kommt halt schneller ans Ziel und braucht weniger Girlanden auf dem Weg dahin. Und wenn er dann den Ton hat, gibt das natürlich den anderen Musikern beste Möglichkeiten daraus etwas Neues entstehen zu lassen. Das macht Riesenspaß. Und tatsächlich ist Dylan wahrscheinlich der kompletteste Künstler, den die Pop- und Rockmusik hervorgebracht hat, er ist in dieser Dimension einfach Outstanding. Bemerkenswert!
Haben Sie ein Konzert der letzten Rough And Rowdy Ways-Tour gesehen?
BROSDA: Nein, leider noch nicht, ich habe nur Mitschnitte auf youtube gehört. Ich wollte eigentlich zum Flensburger Konzert, aber war als Kultursenator anderweitig terminlich gebunden.
Auf dieser Tour ist es noch einmal was ganz Spezielles, welche Songs er neben die RARW-Songs stellt. Welche Songs er aus seinem Back-Katalog auswählt und wie er sie heute interpretiert, das ist unheimlich spannend. Und musikalisch ist das heute eine Art Kammerkonzert, das hat mit Rock’n’Roll nicht mehr so viel zu tun. Das ist schon wirklich toll. Hoffen wir mal alle, dass er nächstes Jahr nochmal nach Europa kommt.
BROSDA: Das hoffe ich auch, denn ich habe ja noch was nachzuholen.
Ganz genau! Aber ich wollte sie schon noch mal auf Ihr Buch ansprechen. Da geht es um politische Narrative. Und sie verbinden dies ja auch mit künstlerischen Erzählungen. Welche Narrative sehen Sie bei Bob Dylan?
BROSDA: Es geht um Bob Dylan in diesem Buch nur an einer Stelle, nämlich bei „Workingman’s Blues“. Denn er entzieht sich eigentlich eher den Narrativen. Als Songwriter kommt er ja nicht aus dieser erzählenden Country-Tradition wie manch anderer der großen Geschichtenerzähler. Wenn er es aber tut, dann macht er das so meisterlich wie in Highlands. Meistens sind seine Texte aber stark von der Lyrik beeinflusst – daher auch völlig zurecht der Literatur-Nobelpreis. Seine Texte sind dann oft eher assoziative Verdichtungen. Bei Reden eignet er sich sensationell gut dafür, ein einzelnes Zitat rauszugreifen, das man als Ornament nehmen kann. Und so wie man als Kultursenator heute noch immer oft Goethe und Schiller zitiert, wird man künftig wahrscheinlich immer häufiger einzelne Sentenzen aus seinen Songs nehmen und zitieren. Aber für eine Narration eignet er sich eher mittelbar als Person oder auf einer Metaebene. Da ist zum Beispiel diese Widerständigkeit des Künstlers – das wäre für mich eine zentrale Geschichte. Dieses immer sich selber herauszunehmen, Welten neu zu schaffen, sich selbst neu zu erfinden, Erwartungen des Publikums bewusst zu unterlaufen, die Konfrontation zu suchen, aus den Spannungen etwas Neues entstehen zu lassen. Wie Dylan als Künstler agiert, ist das eigentlich spannende, aus dem man etwas lernen kann.
Aber natürlich gibt es auch in seinem späteren Werk Geschichten. „Hurricane“ zum Beispiel ist ein großartiger Song, in dem sich auch ein Narrativ finden lässt, das er bewusst in einen politischen Kontext gestellt hat, wenn er sagt „If you have anything political pull at all, get this man out of jail!“ Da steckt eine Absicht dahinter. Aber das ist eher eine Ausnahme in seinem Werk. Die Regel ist bei ihm nicht, „ich erzähle Dir eine Geschichte“, sondern „ich öffne Dir einen Assoziationsraum, mit dem Du selber was machen musst. Ich weigere mich demonstrativ, Dir den näher zu erklären“. Das ist oft extrem spannend und auch viel künstlerischer, als was der Pop sonst oft so macht. Dieses „Setz Dich selber damit auseinander und mach was draus“, kann einen dann auch politisch schulen.
In der Tat, Dylan ist kein Storyteller, er erzählt ja keine Geschichten, was Countrymusik ja macht und am besten in drei Minuten. Dylan braucht dreimal so lang und erzählt keine durchgehenden. Geschichten. Vielleicht kann man es eher mit einem Maler vergleichen. Er gibt uns sein Bild und wir stellen uns davor: „Was fällt uns dazu ein, was sagt uns das?“ Ich denke da an diesen großartigen Song „Blind Willie McTell“, was für mich so ein großes „Wimmelbild“ ist, weil man in jeder Ecke nochmal eine Geschichte, einen Nebenstrang dieser Geschichte des Südens von Sklaverei und Rassismus und südlichen Alltag dort entdecken kann. Das ist vielleicht eher der Punkt.
BROSDA: Ich finde das ist eigentlich ein schönes Bild. Die wirklich politisch nutzbaren Geschichten, das sind die aus den frühen 1960ern. „Blowin‘ In The Wind“ oder „The Times They Are Changing“ fassen einen Zeitgeist zusammen. Oder die Songs, die in der Folktradition ja fast gesungene Zeitungsartikel sind, wie „The Lonesome Death Of Hattie Caroll“. Aber davon hat er sich in seinem Werk immer weiter entfernt. Und ist dann immer mehr auf bestimmte Art abstrahierender geworden. Seine Songs greifen immer mehr an die „Conditio Humana“ heran und sind auf keine bestimmte Zeit mehr festgelegt. Sie forschen eher in den großen Mythen der Menschheit. Das beschreibt Greil Marcus sehr gut. Wenn der sich mit diesen Songs beschäftigt, dann zeigt das, was in ihnen steckt. Aber eben nicht in der Narration, sondern in der Assoziation, in der Interpretation einer Fläche, die er mit ganz unterschiedlichen Texten schafft.
Und da ist ja Bruce Springsteen ein ganz anderer Typ. Springsteen nimmt bei ihnen mehr Raum ein, der ist dann wahrscheinlich mehr geeignet für die Narrative, weil er eben Stories erzählt. Wie würden Sie die beiden vergleichen?
BROSDA: Für das Erklären des kulturellen Alltagsbewusstseins der USA oder sogar das was man westliche Moderne nennt, markieren beide zentrale Ecksteine, die man nicht wegdenken kann und wahrscheinlich braucht es sogar das Spannungsfeld der beiden. Springsteen kommt ganz klar aus der Narration. Er bezieht sich oft auf John Steinbeck oder Woody Guthrie. Da wo Dylan ja auch angefangen hat. Aber Springsteen hat das immer weiter verfeinert und erzählt bis heute Geschichten, die eine unheimliche Resonanz erzeugen. Ich merke das bei mir, wie eindrücklich die sind. Oder wenn sie einen Film sehen wie „Blinded By The Light“, der am Schicksal eines pakistanischen Jungen in London erzählt, wie der sich entlang der Songs von Bruce Springsteen selbst findet. Und wie ihn in seinem Vorort im Thatcher-England das bewegt, was Springsteen in New Jersey erlebt. Da steckt wahnsinnig viel „sich selber erklären können“ drin. Springsteen ermöglicht Identifikation. Dylan verweigert sich dieser Identifikation. Dylan ermöglicht es einem bewusst nicht, sich in ihn hineinzuversetzen. Das will er ja auch gar nicht, er verschwindet eher hinter seinem Werk auf ganz merkwürdige Art und Weise. Da nutzen Springsteen und Dylan auch in ihrer Haltung als Künstler ganz unterschiedliche Haltungen. Ich merke, dass ich in sehr unterschiedlichen Stimmungen und mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen beide immer wieder gerne höre. Aber dass Springsteen ganz am Anfang mal als ein neuer Dylan gehandelt wurde, wie so viele andere auch, hört sich im Nachhinein doch ziemlich putzig an. Dylan war es ja, der zu Springsteen gesagt hat, er solle aufpassen, dass ihm bald nicht die Worte ausgehen, so wortreich seien seine Songs. (lacht) Daraus hat Springsteen gelernt, die späteren Songs sind da deutlich verknappt.
Fortsetzung folgt in der nächsten Key West
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