Der aus Illinois stammende Musiker adaptiert fast alle Arten der Roots-basierten US-Populärmusik
von Thomas Waldherr
Geboren als Andrew Heissler am 26. Juni 1983 in Bloomington, Illinois, ist er mit Musik aufgewachsen. Einer seiner Großväter war Mitglied des St. Louis Banjo Clubs. Von ihm bekam er seine erste Gitarre und ein Tenor Banjo. Er begeisterte sich früh für Folk, Bluegrass, Western Swing, Blues und Jazz und nannte sich Pokey LaFarge. Pokey war der Spitzname seiner Mutter für ihn, weil sie ihn immer „anstubsen“ musste, sich zu beeilen. Den Nachnamen LaFarge entlieh er sich bei Singer-Songwriter Peter LaFarge, der vor allem für seinen Song „Ira Hayes“ bekannt ist. Mit 17 Jahren wurde er zum fahrenden Musikanten. In das Rampenlicht gerückt ist Pokey LaFarge dann mit dem großen Boom der Roots Music in den USA Anfang dieses Jahrtausends. 2006 hat er sein erstes Album aufgenommen, entscheidend war dann das Zusammentreffen 2008 mit Ryan Koenig und den South City Three aus St.Louis. Die Zusammenarbeit und das gemeinsame Album „Middle Of Everywhere“ war die Basis und der Push für seine Karriere.
Sozio-kultureller Hintergrund
Bloomington, Illinois liegt fast genau auf halber Strecke zwischen den Zentren Chicago und St. Louis. Es befindet sich damit inmitten des „German Triangle“. Dies bezeichnet die US-Region zwischen Missouri, Ohio, and Wisconsin im mittleren Westen, in der bis heute die deutsch-stämmigen Amerikaner die größte Bevölkerungsgruppe darstellt. Auch Pokeys Vorfahren, die Heisslers aus Wissembourg oder Weißenburg aus dem Elsass, können wie der Name schon ausdrückt, durchaus hierzu gezählt werden, war doch das Elsass in seiner Geschichte immer wieder mal deutsch und mal französisch.

(La Farge auf einem Konzert im Jahr 2012, Quelle: Wikimedia Comons)
Gleichzeitig liegt Bloomington, Illinois auch im sogenannten „Rust Belt“, der ältesten und größten Industrieregion der USA. Dadurch war diese Region natürlich ein bevorzugtes Ziel von Immigration. Ob aus Übersee oder dem amerikanischen Süden. Sowohl Chicago, als auch St. Louis sind daher Städte, die von multiethnischer Immigration gekennzeichnet sind. Deutsche, Iren, Polen, Südeuropäer, Afroamerikaner, Angelsachsen haben auch die Musikkultur der beiden Städte geprägt. Folk, Blues, Jazz, Western Swing fanden hier ein fruchtbares Feld zur Entwicklung und strahlten natürlich bis nach Bloomington aus.
Musikalische Einflüsse
„Wir kommen aus St. Louis, Missouri. Ich bin zwischen St. Louis und Chicago aufgewachsen und habe die meiste Zeit in Chicago verbracht, also genau zwischen zwei der großen Rust Belt-Städte, also absolut. Das stimmt – da ist gewissermaßen ein gewisser Stolz vorhanden“, sagte Pokey 2015 im NPR-Interview. Und zu seinen musikalischen Wurzeln in den 1990er Jahren erklärte er im selben Interview: „Das ist ungefähr Mitte der 90er, also Snoop Dogg und Ice Cube und alle möglichen Sachen. Und ich liebe dieses Zeug, aber als ich anfing, mich wirklich für meine eigene Kreativität zu interessieren – und mit 13 Jahren frühen Blues zu hören bekam – wissen Sie, den echten alten Blues und das akustische Zeug – nur ein Typ und eine Gitarre, wissen Sie, er schien zu weinen, während seine Gitarre und die Stimme und die Gitarre eins wurden – das war das wirklich Große – das war das Zeichen. OK. Ja. Das ist echte Musik.“
Als einen seiner wichtigsten Einflüsse nennt Pokey in diesem Interview Jimmie Rodgers. Und dies auch wegen seiner Vielseitigkeit: „…aber andererseits, wenn man ein Genre verwenden wollte, das den Blues singt – den Blues des weißen Mannes, wenn man so will –, dann ist das Country-Musik. Ich meine, deshalb denke ich, dass Jimmie Rodgers so wichtig für mich war. Jimmie Rodgers war sozusagen die Brücke zu vielen Dingen. Und außerdem führte er die Menschen auf all diesen verschiedenen Straßen. Ich meine, er hat Blues gesungen. Er sang Jazz. Er hatte einige der ersten, Sie wissen schon, Aufnahmen mit – von einem Weißen und einem Schwarzen in der Country-Musik, wissen Sie, als er 1931 mit Louis Armstrong zusammen Country-Musik gespielt hat. Er war also der Vater der Country-Musik. Und für mich war es so, das ist der Typ.“
Aber auch Bob Wills, der Vater des Western Swing gehört zu seinen wichtigen Einflüssen. Ebenso wie Bob Dylan oder Tom Waits.
Die erste Karrierephase: 2008- 2018
Mit den „South City Three“ hatte er genau die kongenialen Partner für seine Idee einer Musik an der Schnittstelle zwischen Blues, Ragtime, frühem Country, Jazz und Western Swing gefunden. Er sorgt durch Alben wie „Pokey LaFarge“, „Middle of Nowhere“ und „Something In The Water“, Songs wie „‚Chittlin‘ Cookin‘ Time in Cheatham County'“ oder „Central Time“ und unermüdliches Touren mit packenden, begeisternden Konzerten für Furore. Jack White wird auf ihn aufmerksam und fördert ihn, besonders in Holland kommt er mit seiner unterhaltsamen Performance sehr gut an. Schon 2012 füllt er das Amsterdamer Paradiso und veröffentlicht ein Live-Album von diesem Konzert.

(Cover seines 2013er Albums, Rechte: Thin Man Records)
Doch Pokey ist nicht einfach nur ein Roots-Retro-Entertainer. Er hat sehr wohl sensible Antennen für neue musikalische Einflüsse, als auch für die problematischen gesellschaftlichen Entwicklungen in den USA. Sein 2017er Album „Manic Revelations“ greift die gewalttätigen Rassenauseinandersetzungen in St. Louis Mitte der 2010er Jahre auf. „Es ist eine harte Arbeit darüber zu schreiben, aber als Einwohner von St. Louis und als Künstler, habe ich dazu etwas zu sagen. Hoffentlich tut dieser Song mehr Gutes als Schlechtes und führt letzten Endes zu einem Beginn des Dialogs. Außerdem ist es wichtig, die friedlichen Proteste nicht zu vergessen, die die Botschaft der Liebe verbreiteten, in dem sie für Gerechtigkeit und Gleichheit eintraten. Dieser Song ist über Menschen, die ausgegrenzt werden und an den Rand gedrängt werden. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie zurückschlagen würden. Ich hoffe, man fühlt diese Anspannung in dem Song schon vorm ersten Basston an“, so Pokey zu „Riot In The Streets“, der Single Auskopplung des Albums.
Zweiter, wichtiger sozialkritischer Song auf dem Album ist „Silent Movie“. Es spiegelt die Beobachtungen, die Pokey während eines ganzen Jahrzehnts „on the road“ machte. Pokey richtet hier den Fokus auf ein Kind, das – einen Kopfhörer über die Ohren gestülpt – in der Chicago-Hochbahn sitzt. Der Song erzählt von einer Generation von Heranwachsenden, für die Amerika nicht mehr das Land des Glücksversprechens ist, sondern ein zerrissenes Land voller Fragen, dem der typisch amerikanische Optimismus abhandengekommen ist. „Man ist besser dran, wenn man ein Kind bleibt / Bis zu dem Tag, an dem man stirbt / Verharr in deinem Kopf / Oder geh nach draußen und finde einen Platz, an dem du dich verstecken kannst“, heißt es in dem Song, der letztendlich von der Abschottung von der Welt erzählt und damit eines der amerikanischen Probleme auf das Individuum herunterbricht. Die USA befindet sich unter der Präsidentschaft Trumps, der die problematische Folge des zerrissenen Amerikas darstellt.
Pokey stellt seine Unbekümmertheit hintenan, die Situation erfordert es. Doch da trifft ihn ein persönlicher wie musikalischer Schicksalsschlag. Sein kongenialer musikalischer Partner und Bühnen-Antipode Ryan Koenig, der dem smarten jazzy-Pokey einen ländlich-derben Country-Konterpart entgegenstellt, wird während der Tour bei einem Spaziergang von einem Truck überfahren und schwer verletzt. Anfang 2018 tourt Pokey mit Special Guest Jack Grelle durch Deutschland und sammelt für die medizinische Versorgung von Koenig. Die Zusammenarbeit der beiden endet damit jäh.

(La Farge mit Ryan Koenig, Quelle: Wikimedia Commons)
2018 bis heute
Ob dies mit Ausschlag gebend für die Lebenskrise ist, die ihm im Laufe des Jahres 2018 ereilt, darüber kann man nur spekulieren. Ende 2018 stand er wohl wirklich am Abgrund. „In meinem Kopf haben sich die Dinge irgendwie aufgelöst“, erinnert er sich 2020. „Ich ließ mich von bösen Geistern und Dämonen regieren, und ich kam zu bestimmten Vereinbarungen mit ihnen, und es brachte mich zu Fall. Ich gab der Dunkelheit zu viel Kraft, ging zu tief hinein und traf einige schlechte Entscheidungen. Die Realität sieht so aus, dass ich so nah am Abgrund war, wie nie zuvor, und ich hatte definitiv einige Schwierigkeiten in meinem Leben.“
Davon ist allerdings Ende 2018 auf seinen Solo-Konzerten in Deutschland so gut wie nichts zu merken. Zu perfekt ist er als Entertainer, zu groß sein Arbeitsethos als Bühnenkünstler. Möglicherweise war aber das Solo-Projekt schon seiner persönlichen Situation geschuldet. Vielleicht wusste er, dass es besser war, auf der Tour nur für sich allein verantwortlich zu sein.
2019 muss für Pokey ein Jahr der Katharsis gewesen sein. Die Lebenskrise auf dem Höhepunkt, die Befreiung fand er – ähnlich wie sein großer Kollege und sein Vorbild Bob Dylan – im christlichen Glauben. Er schrieb Songs noch inmitten der Krise, die auf seinem ersten Album nach überwundener Krise, „Rock Bottom Rhapsody“ (2020), enthalten waren. Denn während der Aufnahmen fand dann Pokey zu seinem neuen Glauben und sagte zum Album: „Der Mann, der diese Songs singt, ist nicht exakt der gleiche Mann wie der, der sie geschrieben hat.“
Anders als Dylan Ende der 1970er/Anfang der 1980er hat Pokey sich jedoch seitdem jeglicher Predigten auf der Bühne enthalten. Stattdessen hilft Pokey lieber Obdachlosen, weil für ihn Glauben, ohne Hilfsbereitschaft nicht geht.
Und wenn diese Prüfung nicht schon genug gewesen wäre, kam just in seiner Neuorientierung und den Plänen für die Tour zur neuen Platte die Corona-Pandemie. Pokey saß in Austin fest und schreib einfach weiter Songs. So entstand das 2021 erschienene Album „In The Blossom Of Their Shade“. „Dieses Album ist ein Ergebnis meiner Erfahrungen aus dem Jahr 2020“, sagte Pokey zu dessen Erscheinen. „Vor der Pandemie war ich an einem dunklen Ort, aber die Pandemie hat mir den dringend benötigten Raum zum Nachdenken geschaffen. Es stellte sich heraus, dass es eine gute Sache war, einmal komplett sesshaft zu sein. Ich habe in der Stille Frieden gefunden. Ich war in der Lage, mich neu zu orientieren, was ich tue und warum ich es tue. Mit wem ich es tue und vor allem, für wen ich es tue.“
Und so ist sein aktuelles Album leichter und leichtfüßiger als sein Vorgänger. Die Texte sind optimistischer und die Musik hat sich stellenweise deutlich von seinen Swing- und Blues-Anfängen entfernt. Man hört nun auch Latino-, Hawaii- und Karibik-Einflüsse. Zu dieser neuen Leichtigkeit und Entspanntheit im Hier und Jetzt gehört auch die gute Nachricht der Heirat von Pokey mit seiner Freundin und zeitweiligen Bühnenpartnerin Addie Hamilton.
Als Künstler immer in Bewegung
Country.de schrieb kürzlich zu seinem Heidelberger Konzert im Juli diesen Jahres: „Pokey LaFarge adaptiert mittlerweile fast alle Genres der amerikanischen Populärmusik, setzt sie wie er will zusammen, und macht dennoch etwas ganz Organisches daraus. Wir hören auf seinen aktuellen Konzerten Blues, Folk, Soul, Indie Folk, Ragtime, Jazz, Latin, Hawai, Roots Rock, Singer-Songwriter, Country und Americana.“ Damit verfolgt LaFarge ein ähnliches musikalisches Konzert wie sein Vorbild Dylan. Doch während der ein Leben voller Fatalismus und stoischem Humor bilanziert und seine Performance mit durchaus dunkel-grauen Gedanken anreichert, ist LaFarge in der Mitte seines Lebens. Vital, immer auf dem Sprung und in Bewegung.
Es bleibt daher spannend, wohin der mittlerweile 40-jährige Künstler weiter streben wird. Eine Antwort dazu gab er vielleicht schon im Herbst 2021, als er nach seiner musikalischen Entwicklung weg von den streng-amerikanischen Wurzeln dem Online-Magazin „The Big Take Over“ erklärte: „Während ich durchs Leben gehe, nehme ich diese Einflüsse und das, was sich wie ich anfühlt, auf. Ich versuche, nicht zu sehr auf die Nase zu fallen und das zu tun, was ich in meinen frühen Tagen gern mehr getan hätte. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Genres ihren eigenen Einfluss haben. Die Musik von Rocksteady war größtenteils von Motown und frühem Soul und etwas frühem Country beeinflusst und sie schufen ihren eigenen Groove. Die Essenz davon: Warum nehme ich das nicht und übe meinen eigenen Einfluss aus? Das ist Musik, sie wird immer weitergereicht. Ich glaube nicht, dass es zu aufdringlich ist. Ich denke, es kann für einige meiner Fans schockierend sein, die einige meiner Country/Blues- und eher traditionellen Jazz-Elemente kennen, aber ich bin erst 38 Jahre alt. Ich habe viele Platten gemacht und werde noch viel mehr machen, also würde ich sagen, dass ich mich immer weiter von den Wurzeln entfernen werde. Vielleicht drehe ich mich gleich wieder um und gehe zurück, wer weiß?“

(La Farge auf einem Konzert in Heidelberg 2023, Quelle: Wikimedia Commons)
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