Bob Dylan auf Südeuropa-Tour 2023

28 Termine, 27 Konzerte, Rough And Rowdy Ways Plus-Programm und der alte Herr Dylan so entspannt wie Selten.

von Thomas Waldherr

„Rough And Rowdy Ways World Tour 2021 – 2024“ heißt der offizielle Titel der Konzertreise, die Bob Dylan in diesem Sommer wieder einmal nach Südeuropa geführt hat. 28 Konzerte waren vom 2. Juni bis 9. Juli angesetzt, 27 wurden es schließlich, weil das Huesca-Gastspiel am 17. Juni dem Wetter zum Opfer fiel. Von Portugal ging es zu einer ausführlichen Spanien-Tour, dann zog die Karawane für vier Stationen nach Frankreich, machte einen kurzen Abstecher nach Montreux, ehe sie in der Zielgeraden für fünf Konzerte nach Italien kam.

Songs und Botschaft

Grundlage auch dieser Tour sind immer noch die Songs von „Rough And Rowdy Ways“. „Rough And Rowdy Ways ist ein atemberaubendes Werk voller stoischer Ruhe, großer Ironie und Fatalismus angesichts der eigenen Sterblichkeit, aber auch mit großer Klarsicht auf die historisch gewachsenen Verhältnisse in Amerika geworden. „Und damit passt dieses Album in diese Zeiten in denen Amerika in drastischer Weise mit seinen Lebenslügen Rassismus, Polizeigewalt und ‚Big Money Makes Politics‘ konfrontiert wird“, habe ich zum Erscheinen des Albums für country.de geschrieben.

Und das stimmt noch immer, denn nichts ist besser geworden in den USA. Trump ist immer noch da und stellt mit seinen treuen Gefolgsleuten bei den Republikanern und seiner militanten, fanatisierten Anhängerschaft noch immer die große Gefahr für die US-Demokratie dar. Gleichzeitig hat es Biden nicht vermocht einen wirklichen neuen New Deal zu schnüren. Noch immer fühlen sich Millionen abgehängt, während Konzerne und Superreiche vor Macht und Einfluss strotzen.

Das alles weiß Dylan. Aber er sieht seine Aufgabe als Künstler nicht mehr – wie noch 1963 – mit konkreten politischen Aussagen zu den gesellschaftlichen Problemen musikalisch zu reüssieren. 2023 lauschen wir der Erzählung eines älteren Herrn und Songwriters über das Leben, Gott und die Welt und Amerika. Seine Botschaft lautet „die Dinge sind nicht so wie sie scheinen“. Es ist also das kritische Hinterfragen der Zustände des großen Ganzen und die Doppeldeutigkeit im konkreten alltäglichen. Er erzählt vom „Falschen Propheten“. Ob gefährlicher Prediger oder Donald Trump – eine archetypische amerikanische Figur. Er erzählt von „Key West“ als Zufluchtsstätte und utopischem Sehnsuchtsort der Menschen, die auf der falschen Seite der Bahngleise der Bahn geboren sind, jegliche Arten von Außenseiter waren hier willkommen. „Key West“ ist in der musikalischen Fassung von 2023 allerdings sowohl positive Utopie, als auch scheinbar der Abgesang darauf. Die Einsicht, dass es keine besten aller Welten in dieser Welt gibt?

Seine Kritik an den Zuständen Amerikas und der Welt, deutet er oftmals nur noch knapp mit einem Halbvers oder einem Bild an. Und er spricht unbequeme Wahrheiten an. Wenn Dylan in „Mother Of Muses“ die Geschichten der militärischen Helden des zweiten Weltkrieges erzählt, dann weil sie die mit dem Sieg über die Nazis sowohl Bürgerrechtsbewegung als auch Rock’n’Roll erst möglich gemacht haben

Und er beschäftigt sich mit den scheinbar privaten Dingen, die dann doch wieder gesellschaftliche Probleme darstellen. Nämlich davon, dass die romantische Liebe gar nicht so weit entfernt von der militanten, besitzergreifenden, erdrückenden Begierde liegt. Dies erzählen seine neuen Versionen der alten, damals vitalen und optimistisch verheißungsvollen Liebeslieder „To Be Alone With You“ und „I’ll Be Your Baby Tonight“. Und letzteres zeigt – ebenso wie „I‘ve Made Up My Mind to Give Myself to You“ vom aktuellen Album wie nahe sich weltliche und religiöse Liebe, Gospel und Blues dann letztendlich sind.

Dylan bleibt der Meister der Ambivalenz, auch wenn er uns in „I Contain Multitudes“ und „False Prophet“ scheinbar letzte Wahrheiten über sich verkündet. Gibt er uns was wir wollen? Sicher auch ein bisschen davon, aber aktuelles Album und aktuelle Tour sind vor allem aber auch eben so etwas wie eine Bilanz.

Die Band

Eine Veränderung gab es in der Band seit Herbst 2022. Jerry Pentecost, u.a. bekannt als Drummer der Old Crow Medicine Show übernahm die Stöcke von Charley Drayton und fügte der ohnehin starken Verbundenheit der Country-Boys mit der Dylan-Welt eine weitere hübsche Volte hinzu. Aus dem Publikum hörte man, Pentecost sei sympathisch und ein solider Drummer, Drayton aber hätte feiner und nuancierte gespielt.

Dieses positive Urteil über Drayton könnte aber genau seinen Austausch befördert haben. Dylan hat seit einigen Jahren die Creme de la Creme an Musikern auf der Bühne versammelt. Er lässt sie aber kaum ihre solistischen Fähigkeiten zeigen. Er gibt strikt die Arrangements vor, in denen nur wenig Beinfreiheit für die Musiker vorhanden ist. Allein Tony Garnier und Don Herron wird etwas mehr Raum gegeben. Bob Britt und Doug Lancio wirken dagegen immer etwas unterfordert. Sieht man einmal davon ab, wie grundsätzlich anstrengend es ist, immer zu verstehen wo der Meister gerade hinwill was Tonart, Tempo oder eigene Soli angeht.

Das Repertoire

Im Laufe der Tour hat Dylan immer wieder Cover in sein RARW-Programm eingestreut. So waren u.a. auch Not Fade Away“ (Buddy Holly), „Truckin’“ (Grateful Dead), „Into The Mystic“ (Van Morrison), „Stella Blue“ (Grateful Dead), „West LA Fadeaway“ (Grateful Dead), „Bad Actor“ (Merle Haggard) und „Broke Down Palace“ (wieder Grateful Dead) zu hören. Songs von Songwritern, die Dylan verehrt, erzählen über das Leben, über das Schicksal, über eine Person und fügen ein Bild zusammen, das Dylan von sich selbst macht, um es uns zu zeigen.

Not Fade Away“ steht für die erste Liebe zu Rock’n’Roll und Buddy Holly, „Into The Mystic“ steht für den Beginn von Dylans musikalischer und spiritueller Lebensreise, „Truckin’“ erzählt von den Trips zwischen den Städten Amerikas, „Stella Blue“ für die Momente, als Dylan abgehängt und ausgebrannt schien. „West La Fadeaway“ erzählt von jemandem, der „On The Road“ ist und sein Geld mit fragwürdigen Jobs verdient und „Broke Down Palace“ berichtet dann schließlich von einem müden Menschen, der sich ein letztes Mal zum Schlaf legen will.

„Bad Actor“ ist eine Art Geständnis, dass Dylan seinem Umfeld vielleicht wirklich manchmal zu viel abverlangte, weil er manchmal nicht ehrlich unterwegs war oder aber auch, dass auch ein Bob Dylan mehr Kompromisse machte, als ihm lieb waren. Es könnte aber auch ein Verweis auf seine doch hauptsächlich nicht do richtig gelungenen Ausflüge in Schauspielerei und Filmgeschäft sein. Das wäre dann natürlich Dylans genialer Gipfel an Selbstironie. Ob er wirklich so selbstironisch ist? Ein amüsantes Gedankenspiel.

Am Abschlussabend in Rom geht Dylan mit „Only A River“ von Bob Weir, einer Variation des alten Folksongs „Shenandoah“, wieder sehr passend ganz weit zurück zu den eigenen Wurzeln und denen seiner Zunft im Folksong. Und so schließt sich der Kreis und möglicherweise trifft es zu, was ein guter Dylan-Freund geschrieben hat, dass in all diesen Songs, Dylan sich selbst als Live-Künstler spiegelt. Auf alle Fälle sind diese Songs, gerade weil sie nicht von ihm stammen, die Möglichkeit auf seine Art und Weise etwas von ihm preiszugeben.

Die Locations

Natürlich sind Konzerte in Spanien immer ein Eldorado für Leute, die gerne Konzerte an spektakulären Orten sehen. In Stierkampfarenen oder in der Alhambra. Wir haben Dylan in einem schnöden Kongresszentrum gesehen. Und siehe da: Wir waren sicher vor Wetterkapriolen, wir hatten beste Sicht, wegen niedriger Bühne und aufsteigendem Auditorium und… auch hier hat ihn die Muse geküsst! Er spielt auf Autopilot in den schönsten Schlössern und in der nüchternen Messehalle B spielt er plötzlich mit göttlichen Eingebungen. Auch hier ist Dylan nicht berechenbar

(Der Kursaal. Dylans Auftrittsort in Donostia-San Sebastian, Copyright: Key West)

Die Rezeption

Wenn Dylan in Auftritt in Deutschland auftritt, dann schreiben die Zeitungen schlimmstenfalls von Hippie-Seligkeit, meistens von Hochämtern für eingeweihte Gläubige oder ähnlichen Quark. Und immer noch – obwohl längt überwunden – dass er nuschelt und krächzt. Einer schreibt vom anderen ab. In Spanien, Italien und Frankreich jedoch ist der Sänger, der Cantante, der Troubadour, eine verehrte Größe. Vier Tage lang füllte in Donostia/San Sebastian Dylan die örtliche Gazette. Da kamen Promis zu Wort und Fans, da fand eine wirkliche künstlerische Einordnung statt, ein wirklicher profunder Konzertbericht und im Nachklapp kam noch ein Orthopäde zu Wort, der Dylan behandelt hatte.

(Der Autor Thomas Waldherr, Im Hintergrund Dylans „Beat The Street“-Tourbusse, Copyright: Key West)

Und weiter?

Die Spekulationen greifen um sich: Geht die Tour 2024 zu Ende? Die RARW-Tour auf alle Fälle, das trägt sie ja schon im Namen. Setzt er sich dann als Live-Künstler zur Ruhe. Man weiß es nicht. Er wirkt kreativ wie eh und je. Geistig frisch, die Stimme besser als vor dreißig Jahren, für seine Verhältnisse geradezu unverschämt kommunikativ.

Es wäre schade, wenn er sich zur Ruhe setzen würde. Aber das ist seine Entscheidung. Alles was er nach der Corona-Pause gemacht hat, ist schon eine fantastische Zugabe. Und schulden tut er uns eh schon lange nichts mehr. Und trotzdem wünschen wir und alle, dass es ewig weitergehen möge.

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